Tusk will Balkanroute "für immer" schließen

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Beim Flüchtlingsgipfel am Samstag in Wien sprach sich auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel für ein Stoppen der illegalen Migration "so weit wie möglich" aus. Kanzler Kern gab sich vorsichtig optimistisch.

Auf Einladung von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sind am Samstag die Regierungschefs der Staaten entlang der Balkanroute sowie Griechenlands und Deutschlands in Wien zusammengekommen. Hauptthema der Beratungen waren der Schutz der EU-Außengrenze, Abkommen mit den Transit- und Herkunftsländern von Migranten sowie die weiterhin fehlende Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen.

Zum Abschluss hat sich Kern vorsichtig optimistisch gezeigt. Erstmals sehe er "langsam ein Problembewusstsein" entstehen, sagte er am Samstagnachmittag in Wien. Unter anderem rechnet er mit einem baldigen Rückführungsabkommen mit Afghanistan. Deals mit Mali und Niger seien zudem im Gespräch.

Zum Streit mit Ungarn über die Rücknahme von Flüchtlingen gemäß der Dublin-Regelung sagte Kern, dass das Thema vermutlich politisch nicht zu lösen sei, vorrangig sei nun der Schutz der Außengrenze. Zudem mache es keinen Sinn, diese Frage mit Budapest "immer und immer wieder zu diskutieren". Er wolle sich lieber darauf konzentrieren, "wo wir was erreichen können".

"Orbán fordert "Verteidigungslinie für Europa"

Den heutigen Flüchtlingsgipfel verlasse er optimistisch, so Kern. Doch wenn Europa "an dieser Frage scheitert", "möglicherweise auch noch der Türkei-Deal kollabiert", dann stelle dies das Projekt europäische Einigung auf eine "massivste Belastungsprobe".

Der ungarische Premierminister Viktor Orban hatin Wien eine neue "Verteidigungslinie für Europa" gefordert. Diese müsste bei einem Scheitern des EU-Türkei-Deals und falls es bis Jahresende nicht gelingt, die EU-Außengrenze zu schützen, gezogen werden, sagte Orban.

Anders als beim ersten Westbalkangipfel zur Flüchtlingskrise im Februar, bei dem de facto die Schließung der Balkanroute beschlossen wurde, waren diesmal auch Griechenland und EU-Vertreter eingeladen. Zu Jahresbeginn fehlten beide auf der Gästeliste, der österreichische Alleingang war damals in Athen und Brüssel heftig kritisiert worden. Deutschland nahm die an Berlin verschickte Einladung nicht an.

Merkel sichert Athen und Rom Hilfe zu

Ein halbes Jahr später ist die Kritik freilich so gut wie verstummt. "Wir müssen praktisch und politisch sicherstellen, dass die Westbalkanroute für illegale Migration für immer geschlossen ist", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk kurz vor Beginn des Treffens vor Journalisten. Er habe "seit dem ersten Tag keinen Zweifel" daran gehabt, wie wichtig eine effektive Kontrolle der Außengrenze sei. Essenziell dafür sei eine "enge Zusammenarbeit" zwischen den Partnerländern im Westbalkan sowie der Türkei, betonte Tusk. "Heute sollten wir diskutieren, wie wir unser Handeln noch effektiver machen."

Das Ziel müsse sein, "die illegale Migration so weit wie möglich zu stoppen", sagte auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. Sie sicherte Griechenland und Italien weitere Hilfe in der Flüchtlingskrise zu. So werde Deutschland aus diesen Staaten mehrere hundert Migranten mit Bleiberecht pro Monat aufnehmen. Gerade diese Menschen bräuchten eine Perspektive. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex werde voraussichtlich ihren Aufgabenbereich ausdehnen, sagte Merkel. Griechenland habe einen Hilfsantrag für die Überwachung der Grenze zu Mazedonien gestellt.

Frontex sei allerdings derzeit nicht mit ausreichend Kapazitäten ausgestattet, sagte Kanzler Kern. Dies sei aber notwendig, um Schlepperei zu reduzieren und wieder zu einem "geordneten Prozess" zurückzukommen. Er könne sich auch eine Verstärkung des Einsatzes durch militärische Kräfte vorstellen, so Kern. Österreich habe hier gute Erfahrungen gemacht.

Positionen zu weit auseinander

Konkrete Beschlüsse gab es am Samstag in Wien nicht, zu weit liegen die Position der Teilnehmerländer auseinander. So lehnt etwa die deutsche Kanzlerin Angela Merkel weiterhin Obergrenzen für Flüchtlinge ab, während Österreich die Notverordnung erst kürzlich in Begutachtung schickte. Ungarns Premier Viktor Orban wiederum lehnt als Hardliner in der Flüchtlingsfrage sowohl eine Umverteilung von Migranten innerhalb der EU, als auch eine Rücknahme von durch Ungarn durchgereiste Flüchtlinge aus Österreich ab - was zuletzt zu heftigen Konflikten mit Wien geführt hatte.

Obwohl eine Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU aktuell illusorisch scheint - aus Griechenland wurden etwa erst 4.140 Schutzsuchende umverteilt, obwohl die EU vor einem Jahr insgesamt 66.000 versprach - pochte der EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos am Samstag einmal mehr auf Solidarität. "Solidarität und Verantwortungsbewusstsein sind Grundsatzwerte (...) Und zwar nicht nur moralische Werte, sondern auch juristische Prinzipien, die explizit in den EU-Verträgen enthalten sind", so der EU-Kommissar.

Scharfe Sicherheitsvorkehrungen

Begleitet wurde das hochrangig besetzte Treffen im Bundeskanzleramt von scharfen Sicherheitsvorkehrungen. So waren etwa Teile der Wiener Innenstadt seit den frühen Morgenstunden abgesperrt. Im Bereich des Minoriten- und Ballhausplatz sowie beim Volksgarten wurde ein Platzverbot erlassen. Bei der Ankunft der Regierungschefs kreiste ein Hubschrauber über der Hofburg, auf den Dächern des Bundeskanzleramtes sowie der Präsidentschaftskanzlei waren Scharfschützen positioniert.

Vor dem Wiener Burgtheater wurde am frühen Nachmittag  eine Kundgebung der "Plattform für eine menschliche Asylpolitik" unter dem Motto "Wir wollen das! Wir können das! Wir machen das!" abgehalten. Die Plattform tritt gegen die "Unrechtspolitik" der EU-Migrationspolitik auf, hieß es. Das Recht auf Asyl dürfe "nicht der Tagespolitik geopfert werden". "Die Regierenden müssen endlich für legale und sichere Fluchtwege sorgen, anstatt sich auf die Bekämpfung von 'Schlepperbanden' zu konzentrieren", forderte Plattform-Sprecher Michael Genner.

(APA)

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