Mehr Macht wagen – die Demokratie hält es aus

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Eine Richtlinienkompetenz für den österreichischen Bundeskanzler – auch über den Katastrophenfall hinaus? Warum eigentlich nicht?

Im Artikel 65 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland heißt es: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.“ Während etwa Helmut Schmidt – trotz der Herausforderung durch den RAF-Terror – stolz darauf war, als Kanzler davon nie Gebrauch gemacht zu haben, hat Angela Merkel dies jüngst im Fall Böhmermann getan: Koalitionspartner SPD war dagegen, strafrechtliche Ermittlungen gegen den Komiker wegen der Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, zuzulassen. Doch Angela Merkel erteilte im Namen der Bundesregierung die Ermächtigung dazu.

Grundsätzlich ist die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers nicht für die Details, sondern für die großen Linien gedacht. Nun kann man freilich argumentieren, dass ein Regierungschef, der über die nötige Autorität verfüge, solche Anleihen bei autokratisch anmutenden Regierungsmodellen gar nicht nötig habe. In der Realität kann eine solche Richtlinienkompetenz allerdings eine große, klare Linie überhaupt erst ermöglichen. Insbesondere in Koalitionsregierungen wie jener in Österreich mit ihren wechselseitigen, in Jahrzehnten erprobten Blockaden.

Auch wenn es offiziell dementiert wird: Kanzler Christian Kern hätte dem Vernehmen nach gern eine solche Richtlinienkompetenz (gehabt). Allerdings nur auf Notfälle – auf ein sogenanntes Sicherheitskabinett – beschränkt: In diesem sollen bei Krieg, Terror, IT-Angriffen der Kanzler, der Vizekanzler, der Außenminister, der Innenminister, der Verteidigungsminister und der Gesundheitsminister sitzen. Dagegen ist wenig einzuwenden.

Man kann sogar die Frage aufwerfen, ob eine solche Richtlinienkompetenz nicht auf das gesamte Regierungsportfolio ausgedehnt werden sollte. Nicht auf die Details, wie gesagt, aber auf die großen Linien.

Allen Kassandra-Rufen über den drohenden Untergang der Demokratie im Zusammenhang mit der Bundespräsidentenwahl zum Trotz: Die österreichische Demokratie ist gefestigt genug, ein wenig mehr Spielraum – ja, auch Macht – für den Bundeskanzler auszuhalten. Ohne dass gleich die „Orbanisierung“ ausbricht. Es würde möglicherweise das Regieren erleichtern, das sich in den vergangenen Jahren im Verwalten erschöpfte.

Und das ist ja auch der Punkt: Entscheidend in diesem Land ist noch immer der Bundeskanzler. Nicht der Bundespräsident. Auch wenn Letzterer – jedenfalls auf dem Papier – mehr Rechte hat als viele Staatsoberhäupter anderswo: Regieren tut der Regierungschef.

Etwas seltsamer – und da wären wir jetzt wieder bei den Details statt den großen Linien – muten andere kolportierte Pläne des Bundeskanzleramts an: Die fünf Sektionen im Verteidigungsministerium sollen – bis auf eine – künftig von Zivilisten geführt werden. Und diese eine soll von einem sozialdemokratischen Militär geführt werden, der dann auch zum General befördert würde.

Manche Stellen bestreiten diese Pläne, andere bestätigen sie. Jedenfalls sind sie Gegenstand von Verhandlungen. Auch der Generalstabschef, der den Sektionen II bis IV übergeordnet ist, steht zur Disposition.

Böse Zungen könnten jetzt behaupten, die Sozialdemokraten fänden halt nicht genügend ihr zurechenbare Spitzenmilitärs, um die Posten zu besetzen. Allerdings: Militärische Erfahrung an den – militärischen – Schalthebeln des Verteidigungsministeriums sollte nicht unbedingt von Nachteil sein. Dass man hingegen die Rechts- oder Personalabteilung, also die Sektion I, beziehungsweise die Sportsektion V nicht zwingend mit einem Soldaten besetzen muss, erscheint auch irgendwie logisch.

Dem Betriebsklima – wenn man es so nennen will – wäre es allerdings wenig zuträglich, wenn das Verteidigungsministerium, das ohnehin von einem Zivilisten, dem Verteidigungsminister, geführt wird, nun auch auf den darunterliegenden Ebenen fast ausschließlich von Zivilisten gelenkt wird. Die Offiziere, die sich ohnehin schon an den Rand gedrängt fühlen, würden sich noch stärker missachtet fühlen.

E-Mails an:oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2016)

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