Im Sicherheitsrat überziehen einander die Vertreter Washingtons und Moskaus mit gegenseitigen Anschuldigungen. Auch das Verhältnis zwischen den Chefdiplomaten Kerry und Lawrow ist massiv belastet.
Wien/New York. Die Staatenlenker und Chefdiplomaten sind aus New York abgereist, und US-Außenminister John Kerry gab für seine Kollegen aus Berlin, Rom, Paris und London noch ein Abschiedsdinner bei sich zu Hause in Boston. Am Nebenschauplatz des Syrien-Kriegs, bei einer Dringlichkeitssitzung im UN-Sicherheitsrat, prallten die Standpunkte des Westens und der russisch-syrischen Allianz indessen auch in der zweiten Reihe mit voller Wucht aufeinander.
Ob UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, sein Syrien-Emissär Staffan de Mistura, der französische UN-Botschafter und allen voran die US-Botschafterin Samantha Power: Sie alle bezichtigten das Bündnis in Damaskus und in Moskau der „Barbarei“ und der „Kriegsverbrechen“; von bunkerbrechenden Bomben auf Aleppo war die Rede und von Vergleichen mit Sarajewo und Guernica, den Synonymen für die Gräuel des modernen Kriegs.
Vor diesem Hintergrund sind die Beziehungen zwischen den USA und Russland – und das persönliche Verhältnis zwischen Kerry und Sergej Lawrow, seinem Konterpart – einer Zerreißprobe ausgesetzt. Keine drei Wochen ist es her, dass die beiden, die bei ihren Treffen durchaus amikal miteinander umgehen, in Genf eine einwöchige Waffenruhe in Syrien ausgehandelt und den Journalisten Pizza und Wodka spendiert haben. Seit dem Beschuss eines UN-Konvois und den Ausreden Moskaus wähnt Kerry die russische Diplomatie in einem Paralleluniversum. „Das sprengt alle Dimensionen“, sagte er.
Samantha Power hat die russischen Manöver bereits zuvor als heuchlerisch und zynisch bezeichnet, woraufhin Witali Tschurkin, ihr Widerpart auf russischer Seite, aus Protest den Sitzungssaal verließ. Die beiden liefern einander im UN-Sicherheitsrat seit Jahren einen verbalen Schlagabtausch, und Power nimmt sich dabei kein Blatt vor den Mund. Die gebürtige Irin und frühere Harvard-Professorin hat als Journalistin die Balkankriege verfolgt und im Buch „A Problem from Hell“ den Genozid an bosnischen Muslimen beschrieben, das ihr den Pulitzerpreis eintrug.
Während in New York die Diplomaten noch um Frieden gerungen hätten, hätten Syrer und Russen schon die Kampflugzeuge mit Bomben beladen, mutmaßte sie. Als der syrische UN-Botschafter das Wort ergriff, erhob sie sich mit ihrem britischen und französischen Kollegen vom Tisch. Das Gremium ist paralysiert. Witali Tschurkin zog das Fazit: „Frieden nach Syrien zu bringen ist inzwischen fast unmöglich.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2016)