Zuerst der Pflaumenkuchen, dann das Attentat

Symbolbild: Pflaumenkuchen.
Symbolbild: Pflaumenkuchen.(c) Imago
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Die "Neue Freie Presse" schreibt am 22. Oktober 1916 über die Ermordung des Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh und schildert den Hergang.

Ministerpräsident Graf Stürgkh hatte sein Mittagsmahl in angeregtem Gespräche eingenommen und rauchte eben zum schwarzen Kaffee eine Zigarre. Auch der Fremde, den zu beobachten kein Anlaß vorlag, war mit seinem Mittagmahl, das aus Suppe, Fleisch mit Gemüse, einem Pflaumenkuchen und schwarzen Kaffee bestand, fertig und hatte bereits gezahlt.

Die Gesellschaft des Grafen Stürgkh war bald zum Aufbruch bereit, als sich plötzlich der fremde Gast von seinem Tisch erhob und mitten durch das Zimmer an den beiden Tischen vorbei gegen den Tisch des Ministerpräsidenten schritt.

Graf Stürgkh und Graf Toggenburg sahen ihn herankommen; sie glaubten wohl, er wolle eine Gesellschaft an einem Nachbartisch besuchen. Als der Mann aber in die Nähe des Tisches des Ministerpräsidenten gekommen war, legte er die letzten Schritte laufend zurück. Er hatte die Hand in den Sack gesteckt, und ehe jemand sein Beginnen auch nur ahnen konnte, war er knapp an die Seite des Grafen Stürgkh getreten und hatte eine Browningpistole an seinen Kopf angelegt.

Graf Stürgkh hatte im letzten Augenblick wahrscheinlich noch geahnt, daß der Besuch ihm gelte und sich erwartungsvoll etwas zur Seite und vorgeneigt, ohne Verdacht zu schöpfen und mit einem verbindlichen Ausdruck im Gesicht; da krachten auch schon die Schüsse: drei hintereinander. Der Fremde hatte - das sahen alle Anwesenden - auf den Grafen Stürgkh geschossen. Die Schüssen waren gegen den Kopf gezielt und hatten nur zu gut getroffen. Graf Stürgkh sank zur Seite und dann zu Boden. Ein Blutstrom ergoß sich über sein Gesicht. Blut bedeckte seine Kleiner, Blut spritzte auf das Tischtuch und auf die Speisenkarte, die noch auf dem Tische lag.

Man kann sich kaum einen Begriff von dem lähmenden Entsetzen machen, das im Augenblick im Saale herrschte. Man hörte laute Rufe des Entsetzens. Besonders die beiden Tischgenossen des Ministerpräsidenten waren wie gelähmt. Aber nur einen Augenblick. Toggenburg hatte sich gleich erhoben und seinen Sessel als Waffe gegen den Mörder erhoben.

Der Täter eilte durch den Saal, über dem ein leichter Pulverdampf lag, gegen die Tür, die sich genau in einer Linie mit dem Tisch befindet, an dem er selbst gesessen. Hinter ihm her liefen Graf Toggenburg und Baron Aehrenthal. Graf Toggenburg hatte als Wehrloser den Sessel als Waffe gegen den Mörder erhoben. Als der Täter die Tür erreicht hatte, kam ihm der Zahlkellner dieses Teiles des Speisesaales entgegen, ein kleiner und untersetzter Mann, der aber über besondere Kraft verfügt und in Amerika Mitglied eines Athletenklubs war. Der Oberkellner, Herr Grumbach, stürzte sich dem Mörder entgegen, während ein Offizier, der eben entgegenkam, seinen Säbel zog. Der kräftige Arm des Kellners drückte die noch immer mit dem Revolver bewehrte rechte Hand des Mannes zur Erde nieder und bei diesem Ringen entlud sich ein vierter Schuß. Die Kugel drang dem Baron Aehrenthal in den rechten Unterschenkel und verletzte ihn leicht.

Der Mörder aber war gebändigt, entwaffnet und festgenommen. Er wurde unter lauten Entrüstungskundgebungen der Gäste in ein Zimmer des Hotels geführt. Allüberall in den Räumen herrschte die größte Aufregung, und wie ein Lauffeuer verbreitete sich aus dem Hotel hinaus die Kunde, daß auf Graf Stürgkh ein Attentat verübt worden sei. Wie der Ausgang des Anschlages war, wußte man im ersten Augenblick nicht, selbst nicht an dem blutenden Körper des zu Tode Getroffenen, bei dem man noch ein leichtes Röcheln hören zu können vermeinte.

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