Neue Software versucht, Shitstorm zu verhindern

Das Start-up E-Mentalist bietet Prognosen an, die entweder kurzfristig Auslöser für Stimmungsänderungen in Onlinemedien aufzeigen oder langfristige Trends für Branchen und Unternehmen vorhersagen können.

Werde ich in zehn Jahren eine Wohnung haben, und was wird sie mich kosten? Für die Antwort muss man nicht zu Wahrsagern gehen, es gibt konkrete Berechnungsverfahren, die sich damit beschäftigen. Die Immobilienbranche ist eines der Testfelder für das österreichische Start-up E-Mentalist, das u. a. vom A-plus-B-Gründerservice und Accent-Förderungen des Landes Niederösterreich unterstützt wird.

Das Anliegen von E-Mentalist sind Zukunftsprognosen, die auf Millionen Daten und Hunderttausenden Meinungen beruhen. „Das kann langfristig sein, wie etwa die Frage, ob und warum Wohnungspreise fallen oder steigen werden“, sagt Mitgründer Matthias Ortner. Man kann die speziell entwickelten Algorithmen aber auch verwenden, um kurzfristig in die Zukunft zu schauen. Etwa, wenn man einen Shitstorm in den sozialen Medien verhindern will. Eine solche Entladung von negativen Meldungen, die bei Facebook oder Twitter auf einen niederprasseln, kann jeden treffen. „Unsere Algorithmen versuchen, 48 bis 72 Stunden in die Zukunft zu sehen und zu erkennen, wo sich stimmungsmäßig etwas zusammenbraut“, sagt Ortner. Die Software verfolgt ausgewählte Medien und analysiert die Semantik der geposteten Meldungen, also die sprachlichen Inhalte. Dem System fällt auf, wenn sich etwas verändert, wenn der Ton härter wird oder ein Thema sehr oft vorkommt.

Warnung an die Betroffenen

„So kann man prognostizieren, ob sich ein Shitstorm herauskristallisiert“, sagt Ortner. Das betroffene Unternehmen wird gewarnt, kann proaktiv in die Diskussion einsteigen und auf die Kommunikation in den sozialen Medien einwirken.

Ein wesentliches Forschungsgebiet dahinter nennt sich „Mood Prediction“, die Vorhersage von Emotionen, die auch von der Computerwissenschaftlerin Elaheh Momeni der Uni Wien bearbeitet wird. Die Mitgründerin und Forschungsleiterin von E-Mentalist hat die Erkennung von Stimmungen in geschriebenen Texten bereits für die Stressprävention entwickelt. Diese „knallharte Informatik“, die den sprachlichen Inhalt immer tiefer analysiert, wird in Zukunft genau erkennen, ob der Autor eines Postings traurig, wütend oder aggressiv ist. „Wir sind in der Prototyp-Phase, und diese Entwicklung ist noch nicht in der Realwirtschaft angekommen“, sagt Ortner.

Die Basis der Software bildet einerseits künstliche Intelligenz, das sind Algorithmen, die von selbst lernen und durch jede Erfahrung genauer arbeiten.

Nicht nur Maschinen befragen

„Doch wir überlassen nicht alles der Maschine und nutzen auch Crowd-Intelligenz, also Schwarmwissen“, erklärt Ortner. Die Basis dafür können bestehende oder neu gebildete Gruppen von Menschen sein, die als Stimmungseinschätzer dienen. Bei der Entwicklung arbeitet E-Mentalist derzeit unter anderem mit einem namhaften niederösterreichischen Energieversorger zusammen. Hier erkennt die Software Einflussfaktoren und Trends frühzeitig, wie etwa die Frage, welche Technologien in Zukunft wichtig werden, welche Personen – vielleicht der neue Chef eines innovativen Energie-Start-ups – in der Branche an Einfluss gewinnen oder welche gesetzlichen Regelungen auf einen zukommen.

LEXIKON

Shitstorm bezeichnet das sturmartige Auftreten von negativen Äußerungen in sozialen Medien wie Facebook und Twitter oder in der Kommentarfunktion von Internetseiten und Blogs. Der Begriff für dieses Internetphänomen wurde in Deutschland zum Anglizismus des Jahres 2011 und in der Schweiz zum Wort des Jahres 2012 gewählt.

Mood Prediction ist ein boomendes Forschungsfeld in der Informatik. Die „semantische Analyse“ erkennt den Inhalt von sprachlichen Meldungen und damit auch die Stimmung der Person, die den Text verfasst hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2016)

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