Paris- und Brüssel-Terror: 14 Attentäter durch Ungarn gereist

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Die Terroristen sollen im Herbst 2015 als als Flüchtlinge durch Ungarn gereist sein, erklärte die ungarische Anti-Terror-Einheit (TEK).

Im Herbst 2015 sollen insgesamt 14 Terroristen als Flüchtlinge durch Ungarn gereist sein, die im Zusammenhang standen mit den Anschlägen am 13. November 2015 in Paris und am 22. März 2016 in Brüssel. Das erklärte Csaba Majoros von der Direktion Aufklärung der ungarischen Anti-Terror-Einheit (TEK) am Freitag auf einer Pressekonferenz in Budapest laut der amtlichen Agentur (MTI). Ein Großteil der an diesen Anschlägen beteiligten Terroristen reiste demnach durch Ungarn. Laut Majoros hatte der "Islamische Staat" (IS) in Ungarn aber kein "angelegtes, ausgedehntes Netz". Laut dem stellvertretenden TEK-Generaldirektor Zsolt Bodnar trafen die in der syrischen IS-Hochburg Raqqa ausgebildeten Terroristen in Gruppen von zwei bis drei Personen in Ungarn ein.

Laut TEK traf am 16. Juli 2015 Bilal C. über die griechisch-mazedonisch-serbische Flüchtlingsroute in Ungarn ein. Der 20-jährige Algerier sei vom IS damit beauftragt worden, die damals von Zehntausenden Flüchtlingen benutzte Route zu erkunden. Er sollte feststellen, wie die einzelnen Grenzen überwunden werden können und mit welchen Polizeikontrollen zu rechnen sei. Diesen Auftrag hatte der Algerier den Angaben zufolge direkt von dem später getöteten mutmaßlichen Hauptorganisator der Pariser Terroranschläge, Abdelhamid Abaaoud erhalten, mit dem er über das Internet in ständigem Kontakt gestanden sei.

Ungarisches Mobiltelefon

Nach seiner Ankunft in Budapest habe sich Bilal C. ein ungarisches Mobiltelefon beschafft. Nach einem kurzen Aufenthalt von wenigen Stunden in Budapest habe der Algerier einen Zug nach Österreich bestiegen, wurde jedoch nahe der westungarischen Stadt Györ wegen des Versuches eines verbotenen Grenzübertrittes gefasst. Der Mann wurde in ein bewachtes Flüchtlingslager nach Tatabanya gebracht, wo er sich als Syrer ausgab, der über keine Papiere verfüge, und der auch keinen Asylantrag stellte. Bis zum 4. August befand sich der Algerier in Haft. Zu dieser Zeit wurde das Auffanglager in Balassagyarmat als sein neuer Aufenthaltsort bestimmt, wo er jedoch nicht ankam. Bilal C. gelangte vielmehr nach Wien, von dort dann nach Deutschland, wo er seinen Unterhalt mit kleineren Straftaten verdiente.

Die deutschen Behörden konnten im Frühjahr 2016 aufgrund von TEK-Informationen feststellen, dass der Mann mit dem weltweit gesuchten Abdelhamid Abaaoud in Kontakt stand. C. wurde letztlich im April 2016 in Aachen gefasst. Gegenwärtig befindet er sich in U-Haft. Gegen ihn wurde ein Verfahren wegen Terrorhandlung und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation eingeleitet.

Am 1. August 2015 sollen laut den TEK-Informationen auch Abaaoud und Ayoub El Khazzani via Flüchtlingsroute in Ungarn eingetroffen sein. Die serbisch-ungarische Grenze hatten sie in der Region bei Röszke überquert. Die beiden Männer hätten sich in einem Hotel in Budapest aufgehalten und von dort aus Kontakt zu mehreren Mitgliedern des IS gehalten. Am 5. August seien sie weitergereist, hätten dabei Bilal C. getroffen und mit ihm gemeinsam ihre Reise nach Deutschland fortgesetzt. El Khazzani sei jener Mann gewesen, der 16 Tage später in einem Schnellzug nach Paris mit einer im WC zusammengebauten Maschinenpistole einen Terroranschlag plante, der jedoch von im Zug reisenden, amerikanischen Soldaten verhindert werden konnte.

Auf der Pressekonferenz wurde auch der Name von Salah Abdeslam genannt, der während der Pariser Anschläge drei Selbstmordattentäter zum Stade de France chauffiert hatte. Er selbst sollte der Vierte sein, er warf jedoch seinen Bombengürtel in einen Mistkübel. Abdeslam soll sich mehrfach in Ungarn aufgehalten haben. Zum ersten Mal am 30. August 2015 in der Kleinstadt Kisköros, von wo er mit den Marokkanern Chakib Akrouh und Bilal Hadfi weiterzog. Letzterer hatte sich beim Stade de France später in die Luft gesprengt. Akrouh wiederum war an der Schießerei bei Pariser Cafes im Rahmen der Paris-Anschläge beteiligt, er sprengte sich letztlich am 18. November 2015 während einer Polizeiaktion in die Luft. Die beiden Marokkaner waren ebenfalls auf der Flüchtlingsroute in Ungarn eingetroffen, und zwar einige Tage vor Abdeslam. Dieser traf mit einem Mietwagen in Kisköros ein, nahm die beiden Männer auf und reiste mit ihnen in Richtung Belgien. Zuvor hatten sie sich Mobiltelefone in Kiskörös beschafft. Eines dieser Telefone sei gefunden und die gespeicherten Daten rekonstruiert worden. Damit habe sich herausgestellt, dass die Wege der Terroristen aus der syrischen Zentrale des IS gesteuert wurden.

Gefälschte Pässe

Danach sei Abdeslam im September 2015 am Ostbahnhof in Budapest eingetroffen. Er nahm zwei Männer mit sich, die ebenfalls als Flüchtlinge angekommen waren. In Österreich seien die Männer kontrolliert worden, die sich mit gefälschten syrischen Pässen ausgewiesen hätten. Später stellte sich heraus, dass es sich bei einem der Männer tatsächlich um den Algerier Mohamed Belkaid handelte, der als Logistiker der Pariser Anschläge vom November 2015 gilt und von der belgischen Polizei bei einer Razzia nach den Brüsseler Anschlägen im März 2016 erschossen wurde. Der andere Mann war Najim Laachraoui, der sich später am Brüsseler Flughafen in die Luft sprengte. Die beiden Männer verfügten ebenfalls über ungarische Mobiltelefone, mit denen sie den Kontakt zu Abdeslam hielten, der bei jedem neuen Transport eine andere Telefonnummer nutzte. Sein dritter Transport fand am 17. September 2015 statt: Damit holte er drei Attentäter vom Konzertsaal Bataclan in Paris ab: Omar Ismail Mostafa, Samy Amimour und Foued Mohammed Aggad. Auch sie waren Anfang September mit Flüchtlingen im Ostbahnhof in Budapest eingetroffen. Sie hätten Abdeslam wahrscheinlich getroffen, der sie jedoch zunächst wegen Platzmangels nicht mitnehmen konnte, so dass sie einige Tage in einem Hotel in Budapest wohnten. Hier wurden auch die Kopien ihrer gefälschten syrischen Pässe gefunden.

Ein belgischer Komplize von Salah Abdeslam überwies am 16. September 2015 eintausend Euro, die Mostafa zusammen mit gefälschten Papieren in Budapest entgegennahm. Abdeslam habe sich damals einige Stunden in der Budapester Rakoczi-Straße aufgehalten, wo eine Kopie seiner belgischen Aufenthaltsgenehmigung gefunden wurde. Laut TEK benutzten zwei Selbstmordattentäter vom Stade de France gefälschte Pässe, die auf die Namen Mohammad Al-Mahmoud und Ahmad Al-Mohammed lauteten. Diese beiden Männer seien über Kroatien in Ungarn eingetroffen. Die ungarischen Behörden hätten sie nach Österreich transportiert, sie seien in Kroatien registriert worden.

Drei Männer aufgenommen

Nach Schließung des ungarisch-serbischen Grenzüberganges Röszke nahm Abdeslam in Ulm in Deutschland drei Männer auf, unter ihnen Osama Krayem und Soufiane Ayari, die später in Zusammenhang mit den Brüsseler Attentaten verhaftet wurden. Ein von der TEK nicht namentlich genannter dritter Mann versuchte Ungarn in Richtung Serbien zu verlassen. Er wurde jedoch gefasst und in das bewachte Flüchtlingslager nach Kiskunhalas gebracht. Der Mann wurde am 9. November 2015 von dort entlassen und in das offene Auffanglager nach Bicske gebracht. Auch er besaß ein ungarisches Mobiltelefon, mit dem er den Kontakt zu einem in Budapest agierenden, syrischen Schlepper aufnahm, der ihn nach Österreich brachte. Der syrische Schlepper wurde im Sommer 2016 vom TEK gefasst und an Österreich überstellt.

Auf die Frage der Medien, warum diese Pressekonferenz gerade zwei Tage vor dem umstrittenen Flüchtlingsreferendum der rechtskonservativen ungarischen Regierung abgehalten wurde, betonte der Vize-Direktor Bodnar: Die Pressekonferenz konnte am Freitag abgehalten werden, da die Vertreter der französischen und belgischen Behörden, die wegen aktuelle Rechtsbeihilfegesuche in Ungarn weilten, am gestrigen Donnerstag abgereist seien.

(APA)

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