Angeblicher Geheimdeal zwischen Orban und Merkel

Orban und Merkel, Aufnahme von 2011
Orban und Merkel, Aufnahme von 2011(c) APA/EPA
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Ungarns Premier versprach einen "Stilwechsel" nach dem Referendum, berichten ungarische Medien. Dafür soll Deutschland Hilfe bei EU-Verfahren leisten.

Ungarische Medien berichten von einem angeblichen geheimen Deal zwischen Premier Viktor Orban und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Tageszeitung "Magyar Nemzet" zufolge soll die ungarische Regierung Merkel einen "Stilwechsel" in der Flüchtlingspolitik versprochen haben, im Gegenzug habe Berlin Budapest Unterstützung bei EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn zugesagt.

Nach dem umstrittenen Flüchtlingsreferendum am Sonntag soll die rechtskonservative ungarische Regierung "Abstriche an ihrer flüchtlingsfeindlichen Rhetorik vornehmen und auch in EU-Fragen konstruktiver sein", berichtete "Magyar Nemzet" am Freitag in ihrer Online-Ausgabe "mno.hu". Deutschland werde dafür Ungarn Schützenhilfe bei seinen Konflikte mit der EU-Kommission geben, so die Zeitung unter Berufung auf eine inoffizielle Hintergrundstudie der Regierung und Quellen aus dem ungarischen Außenministerium.

Derzeit 21 Verfahren gegen Ungarn

Gegenwärtig würden 21 Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn laufen, was auch seitens der Budapester Regierung als "schwerwiegend" beurteilt werde. In der Studie, die der Tageszeitung zugespielt wurde, gehe es um die unter wirtschaftlichen und politischem Aspekt bedeutenden Verfahren, die Brüssel gegen Ungarn eingeleitet hat. Der Bericht würde ein "trauriges Bild über die Beziehungen zwischen Ungarn und Brüssel aufzeigen", heißt es.

Gerade in den "zwei heikelsten, korruptionsverdächtigen Angelegenheiten" soll Budapest bald diplomatische Unterstützung aus Deutschland erhalten, so das Blatt. Budapest könnte demnach Grünes Licht erhalten beim Bau des ungarischen Kernkraftwerkes Paks II und bei der Eisenbahnverbindung zwischen Budapest und Belgrad, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Quellen im Außenministerium. Bei beiden Projekten läuft ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission.

Erste Anzeichen für "Stilwechsel"?

Im Gegenzug soll Orban Abstriche in der Flüchtlingspolitik machen, die für Merkel vor allem innenpolitisch eine Gefahr darstelle. Für einen "Stilwechsel" der ungarischen Regierung wollen ungarische Medien auch bereits erste Anzeichen erkennen. So habe es in den vergangenen Wochen in der Regierungskommunikation erste Anzeichen für eine Veränderung gegeben, berichtete "Magyar Nemzet". In drei Interviews mit der Tageszeitung hätte sich Orban zurückhaltender gegenüber dem bisher "dämonisierten Brüssel" geäußert.

Auch die Wochenzeitung "Figyelö" berichtete unter Berufung auf deutsche diplomatische Quellen, dass die Orban-Regierung nach dem Ende der flüchtlingsfeindlichen Kampagne für das anstehende Referendum eine konstruktivere Haltung in der Flüchtlingsfrage einnehmen werde.

"Unwahrscheinlich, dass Regierung Versprechen hält"

Laut Daniel Hegedüs von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) haben ungarische Regierungsvertreter bei Besuchen in Berlin zuletzt mehrfach erklärt, dass die flüchtlingsfeindliche Kampagnenmaschinerie nach dem Referendum zum Stillstand kommen werde. Hegedüs hält es zugleich aber "nicht für wahrscheinlich, dass die Regierung ihre Versprechen einhält". Es sei "keine volle Wende in der Kommunikation zu erwarten, höchstens eine Milderung des Tons", so Hegedüs gegenüber "Magyar Nemzet". Andererseits würde es logisch klingen, dass Deutschland Ungarn in den beiden Vertragsverletzungsverfahren unterstütze, denn Berlin sei selbst an den beiden Investitionen interessiert.

Bei der Projektvorbereitung von Paks II habe "die deutsche Wirtschaftslobby einen markanten Anteil gehabt" und deutsche Firmen könnten auch bei dem Bau des Atomkraftwerks selbst einbezogen werden. Hinsichtlich der Eisenbahnverbindung Budapest-Belgrad erinnerte Hegedüs an "eindeutig deutsche Interessen", da die Investition der Verbindung zwischen griechischen Häfen und deutschen Märkten diene.

Aufruf zur Wahl

Am Tag vor dem Referendum hat Orban die Ungarn aufgerufen, zur Wahl zu gehen. Das Votum sei nicht nur für Ungarn, sondern für die ganze EU von "schicksalhafter Bedeutung", sagte Orban in einem Interview mit der Zeitung "Magyar Idök" (Samstagsausgabe).

Der rechtskonservative Politiker warnte erneut vor einer "tatsächlichen Völkerwanderung" nach Europa, da in Afrika viele Millionen Migranten auf ein besseres Leben in Deutschland, Österreich oder Schweden hofften. Orban betonte, die Flüchtlingspolitik Brüssels habe Schuld an der Lage, da sie "Massen unglücklicher Menschen nach Europa eingeladen hat".

Derzeit gibt es eine geltende EU-Flüchtlingsquote über die Umverteilung von insgesamt 160.000 über Italien und Griechenland eingereisten Asylwerbern. Diese wird jedoch von keinem einzigen EU-Land eingehalten.

Orban lässt rund acht Millionen wahlberechtigte Ungarn am Sonntag über folgende Frage abstimmen: "Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des (ungarischen) Parlaments die verpflichtende Ansiedlung nichtungarischer Staatsbürger in Ungarn vorschreiben kann?" Die sozialliberale Opposition rief zum Boykott des Volksbegehrens auf, dessen Ergebnis nur bei einer Beteiligung von mehr als der Hälfte der Stimmbürger gültig ist.

Der ungarische Schriftsteller Rudolf Ungvary warf Orban in einem Interview am Samstag rassistische Demagogie vor. In der Werbung für ein Nein würden Fakten völlig verzerrt, sagte Ungvary dem Sender Deutschlandradio Kultur. Es werde getan, als würde Ungarn von Hunderttausenden Einwanderern überflutet, obwohl es nur um 1300 Menschen gehe. Das sei im Grund genommen "rassistische Demagogie", bei der total gelogen werde.

(APA)

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