Ungarn-Referendum: Flüchtlingsquote für Kern in EU derzeit nicht möglich

Orban erkennt das Scheitern des Referndums nicht an.
Orban erkennt das Scheitern des Referndums nicht an.REUTERS
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Brüssel könne die Verteilung jetzt nicht durchsetzen, sagt der Kanzler. Er erwartet nach dem Scheitern des Votums in Ungarn keine gravierenden Änderungen für die EU-Flüchtlingspolitik.

Bundeskanzler Christian Kern erwartet durch das gescheiterte ungarische Anti-Flüchtlings-Referendum vorerst keine gravierenden Änderungen in der europäischen Flüchtlingspolitik. "Der Ausgang des Referendums in Ungarn wird die Spielaufstellung nicht ändern", sagte Kern am Montag.

Ähnlich wie Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) ist auch Kern der Meinung, dass eine Quotenverteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas derzeit nicht möglich ist. "Wir wissen, dass wir die Verteilung der Flüchtlinge jetzt nicht durchsetzen können", sagte Kern mit Blick auf die Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, die in Sachen Flüchtlinge eine restriktive Politik vertreten.

Laut Kern müsse man sich weiter auf Grenzschutz, Hilfe in den Krisengebieten und Abkommen mit nordafrikanischen Staaten konzentrieren. Würden diese Probleme gelöst, würden sich auch die Visegrad-Staaten wieder stärker in die Lastenaufteilung einklinken, zeigte sich der Kanzler überzeugt.

Kurz warnt vor falschen Interpretationen

Außenminister Sebastian Kurz warnte nach dem klaren Scheitern des Referendums vor einer falschen Interpretation des Votums. Bei der Abstimmung hätten nämlich mehr Ungarn gegen die EU-Flüchtlingsquoten gestimmt als im Jahr 2003 für einen EU-Beitritt ihres Landes, sagte Kurz am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Anne Will".

Kurz zeigte sich belustigt darüber, dass nun "ganz Europa" darüber diskutiere, wie viele Menschen sich an dem ungarischen Referendum beteiligt hätten, statt der Frage nachzugehen, "wie viel Prozent eigentlich für was gestimmt haben". Der ÖVP-Minister wies auch darauf hin, dass sich an der letzten Wahl zum Europaparlament nur 29 Prozent der ungarischen Stimmbürger beteiligt hätten.

Zwar könne man das Referendumsergebnis "in jegliche Richtung interpretieren". Aber: "Man sollte nicht den Fehler machen, es so zu interpretieren, dass man sagt, die Ungarn wollen mehr Migranten aufnehmen. Das, glaube ich, wäre eine etwas falsche Interpretation", betonte Kurz.

Vielmehr gebe es in Europa viele Staaten, die ähnlich dächten wie Ungarn und "nicht glücklich sind mit der Politik, die da gemacht wird", sagte Kurz mit Blick auf die Pläne zur Quotenverteilung von Flüchtlingen. Es gebe in diesen Staaten das Gefühl, dass "einige wenige mitteleuropäische Staaten, vor allem Deutschland" den anderen eine Politik aufzwingen, die sich nicht wollten.

Vilimsky: Zeichen gegen Zwangsverteilungspolitik

"Das Referendum für den EU-Beitritt Ungarns im Jahr 2003 kam mit 45,6 Prozent auf eine fast gleich hohe Beteiligung - und niemand wäre bis heute auf die Idee gekommen, die EU-Mitgliedschaft Ungarns in Zweifel zu ziehen", argumentierte auch der FPÖ-Europaabgeordnete Harald Vilimsky am Montag in einer Aussendung. Er verwies auf die niedrige ungarische Europawahl-Beteiligung. "Auch wenn das Referendum formal nicht gültig ist, so haben die Ungarn doch beeindruckend klar gegen die Zwangsverteilungspolitik von Zuwanderern in der EU votiert", betonte der FPÖ-Generalsekretär.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ist am Sonntag mit seinem Plan gescheitert, sich vom Volk Rückendeckung für sein Nein zur europäisch verordneten Aufnahme von Flüchtlingen zu holen. Nach einer einseitigen Referendumskampagne beantworteten zwar 98,4 Prozent der Teilnehmer des Votums die Suggestivfrage Orbans mit Nein. Wegen eines Boykotts der Opposition erreichte die Beteiligung aber nur 40,4 Prozent. 50 Prozent der Stimmberechtigten hätten sich beteiligen müssen, damit das Referendum gültig gewesen wäre. Dieses Quorum war im Jahr 2012 von Orbáns Regierung eingeführt worden, um die Erfolgsaussichten von oppositionellen Volksbegehren zu mindern. Zuvor galt eine Vorlage als angenommen, wenn die jeweilige Mehrheit 25 Prozent des gesamten Wahlvolkes repräsentierte.

EU-Parlamentarier sehen Absage an Orbán

Erleichtert zeigten sich mehrere österreichische Europaabgeordnete über den Ausgang des Flüchtlingsreferendums. "Die Mehrheit der Ungarn haben der Flüchtlingspolitik von Viktor Orbán eine Absage erteilt", erklärte ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas. "Trotzdem kann das Ergebnis nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Referendum gegen die europäische Demokratie und gegen europäische Werte gerichtet war und bewusst Stimmung gegen die Europäische Union gemacht wurde", kritisierte Karas.

Die Grüne Delegationsleiterin und Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Ulrike Lunacek, bezeichnete die "Referendums-Schlappe" als "Menetekel für Viktor Orbans Anti-EU- und Anti-Flüchtlingspolitik". Trotz einer unglaublich aggressiv geführten Kampagne habe die Mehrheit der Ungarn das Referendum "als den Orban-Popanz durchschaut, der es gewesen ist, und ignoriert. Das ist ein gutes Zeichen für die EU - und eine schwere Niederlage für Orbán."

Opposition fordert Rücktritt Orbáns

Der ungarische Ministerpräsident selbst zeigte sich zufrieden über den hohen Anteil der Nein-Stimmen. "Die Volksabstimmung hat ihr Ziel erreicht", sagte der rechts-nationale Politiker am Montag im Budapester Parlament. "Das Ziel war es, reinen Wein einzuschenken", fügte er hinzu.

Die Opposition bezeichnete das von Orban angestrengte Votum als gescheitert. Der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Jobbik, Gabor Vona, erklärte am Montag, Orban habe die Position Ungarns in Europa geschwächt. "Sie müssen zurücktreten", forderte Vona im Parlament in Budapest. "Ich weiß, Sie werden nicht zurücktreten, aber Sie könnten zumindest eine Entschuldigung anbieten."

Orban sah sich hingegen in seiner flüchtlingsfeindlichen und EU-skeptischen Politik bestätigt. "Wir haben das Brüsseler Quotensystem angegriffen", meinte er im Parlament. "Der Angriff kann unangenehme Folgen haben: Die Europäische Kommission erpresst und attackiert." Mehr als 90 Prozent hätten aber nun aber entschieden, "dass man kämpfen muss".

Er werde eine Verfassungsänderung vorschlagen, die "den Willen des Volkes widerspiegelt", kündigte der rechtskonservative Politiker an. "Wir werden Brüssel zu verstehen geben, dass es den Willen der Ungarn nicht ignorieren kann. Ich werde alles dafür unternehmen, damit dies nicht geschieht".

(APA/AFP/dpa)

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