Nobelpreis für Zellen-Müllabfuhr

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Die schwedische Akademie ehrt heuer den Japaner Yoshinori Ohsumi, der im Alleingang die Autophagie erkundet hat, mit der Zellen Teile entsorgen und rezyklieren.

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Als am Montag gegen Mittag in Stockholm der Träger des Medizinnobelpreises bekannt gegeben wurde, rieben sich Wissenschaftsjournalisten sämtlicher Redaktionen die Augen. Dann räumten sie die Schreibtische frei von halb fertigen Artikeln über Crispr. Das ist eine Technik, die die Gentechnik revolutioniert hat – mit ihr scheint alles möglich, vom Abschaffen von Erbkrankheiten und Aids bis zum Wiedererwecken der Mammuts –, ihre Entwickler galten als heißeste Kandidaten für den Preis. Allerdings verspricht Crispr auch ökonomisch so viel, dass erbitterte Patentkriege ausgebrochen sind, vielleicht wollte sich Stockholm die Finger nicht verbrennen. Vielleicht kommt Crispr auch noch zu Nobel-Ehren: Am Mittwoch gibt es den Chemiepreis, er ging in jüngster Zeit oft an Molekularbiologen.

Wie auch immer, ein Verlegenheitskandidat oder Lückenfüller ist der Preisträger, der 71-jährige Japaner Yoshinori Ohsumi (Tokio), nicht, er ist 2013 schon als Mitfavorit gehandelt worden. Denn er hat, ziemlich im Alleingang, ein Forschungsfeld geöffnet, das von der Entwicklung eines Körpers bis zu der eines Tumors in sämtliche Bereiche des Lebens hineinspielt, das der Müllabfuhr und Wiederverwertung von Bestandteilen von Zellen. Dass es so etwas gibt, hat der Belgier Christian de Duve in den 1950er-Jahren bemerkt: Er hatte Organellen in Zellen gefunden (Lysosome), in denen Zellbestandteile „verdaut“ werden, dafür erhielt er 1974 den Medizinnobelpreis. Zu der Zeit hatte man aber einen zweiten Entsorger in Zellen entdeckt und konzentrierte sich darauf, das Proteasom, es kann kleine Zellbestandteile verarbeiten. Seine Erkundung brachte 2004 drei Forschern den Chemienobelpreis.
Das Lysosom, das auch mit großen Bestandteilen fertig wird, ist in Vergessenheit geraten, so wie auch die Zellorganellen, die die Fracht zu den Lysosomen bringen, Duve hatte sie in den 1960er-Jahren Autophagosome genannt und den ganzen Prozess Autophagie. Aber wie die Zelle Teile ihrer selbst frisst, wollte und wollte sich nicht zeigen, das Interesse erlahmte. Es kam erst Ende der 1980er-Jahre wieder in Gang, im Labor von Ohsumi: Der erkundete die Autophagie erst an einem Einzeller, der Bierhefe, 1992 hatte er die ersten Gene identifiziert, bald fand er sie auch in Zellen von Mehrzellern.

Und er bemerkte, wodurch die Gene aktiviert werden, durch Hunger und generell durch Stress etwa: Dann verarbeiten Zellen alles nicht dringendst Notwendige als Energiequelle für Unentbehrliches. Zudem geht es in der Autophagie auch darin, Überaltertes zu rezyklieren, Mitochondrien etwa, die Zellkraftwerke, sie leben nur zehn Tage. Dann müssen sie zerlegt und neu gebaut werden, für Ersteres sorgt die Autophagie. Das tut sie auch, wenn ganze Lebewesen in ihrer Entwicklung umgebaut werden, Embryos etwa oder Raupen, die sich verpuppen.

Auch Waffe gegen Eindringlinge

Und sie tun es, wenn Unerwünschtes in Zellen ist, entweder von den Zellen selbst falsch Gebautes oder in sie Eingedrungenes, Viren oder Bakterien, dann ist die Autophagie die letzte Front des Immunsystems. Das ist nicht der einzige Bezug zur Medizin, die den Spuren Ohsumis bald in aller Breite nachging: So bemerkte man, dass mutierte Autophagiegene mit Neurodegeneration einhergehen, man bringt sie etwa mit Morbus Parkinson in Verbindung. Mit Tumoren auch: In Geweben von Brust- und Eierstockkrebs fanden sich oft mutierte Autophagiegene, andere zeigten sich in Erbkrankheiten, die vor allem das Gehirn treffen.
Ohsumis Arbeit habe „zu einem neuen Verständnis dessen geführt, wie die Zelle Bestandteile rezykliert“, schließt die preisverleihende schwedische Akademie: „Durch seine Pionierarbeit ist Autophagie als fundamentaler Prozess der Zellphysiologie mit großen Implikationen für die Gesundheit des Menschen ins Bewusstsein gekommen.“

(APA)

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