Ein Dämpfer für Viktor Orbán, den König der Flüchtlingswellenreiter

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Das Flüchtlingsreferendum in Ungarn scheiterte wegen völliger Sinn- und Folgenlosigkeit. Es diente nur dem Zweck, den Erregungspegel hochzuhalten.

An ungeklärten Fragen herrscht kein Mangel auf diesem Kontinent. Eines jedoch steht seit geraumer Zeit außer Zweifel: dass Ungarn nicht bereit ist, seinen Beitrag zu einer gleichmäßigen Aufnahme von Flüchtlingen in der EU zu leisten. Es hat nicht nur im EU-Ministerrat gegen verpflichtende Flüchtlingsquoten gestimmt, sondern dagegen auch Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht. Die Regierung in Budapest blieb mit ihrem Widerstand nicht allein. Offene Schützenhilfe kam aus den anderen drei Visegrad-Staaten Polen, Tschechien und Slowakei. Und auch in den meisten anderen EU-Mitgliedsländern hielt sich die Begeisterung in Grenzen: Von den 160.000 Flüchtlingen, die die EU aus Griechenland und Italien auf andere Staaten verteilen wollte, siedelten bisher 5651 Personen um.

So edel und vernünftig sich die Quote auf dem Reißbrett ausgenommen hatte, dem Rendezvous mit der Realität hielt sie nicht stand. Mittlerweile wurde das Projekt längst im dicken EU-Ordner der guten Absichten abgeheftet. Von einer zwangsweisen Verteilung der Flüchtlinge sprach zuletzt kaum noch jemand, indes machte das Visegrad-Konzept der flexiblen Solidarität die Runde: Wer keine Flüchtlinge nimmt, soll sich verstärkt anderswo einbringen, etwa beim Schutz der Außengrenze.

Das ungarische Flüchtlingsreferendum vom Sonntag war also in mehrfacher Hinsicht überflüssig: Die Magyaren wurden zu einer Angelegenheit befragt, die de facto längst vom Tisch, offensichtlich unpopulär und deren Ablehnung durch die Regierung Orbán hinreichend dokumentiert war. 98,3 Prozent stimmten am Ende gegen die EU-Flüchtlingsquote. Ein ähnliches Ergebnis wäre herausgekommen, hätten die Ungarn darüber abgestimmt, ob die EU ihr Land umbenennen soll oder nicht.

Schon vor der Öffnung der Wahllokale müsste jedem Bürger gedämmert sein, dass diese Abstimmung folgenlos bleiben wird. Deshalb erstaunt auch die geringe Wahlbeteiligung von 40 Prozent nicht. Gültig wäre das Referendum nur bei einem Quorum über 50 Prozent gewesen.

Der Dämpfer ist peinlich für Premier Viktor Orbán, der mehrere Millionen Euro und seinen gesamten Propagandaapparat eingesetzt hat, um für sein sinnloses Referendum mobilzumachen. Er ließ sich danach trotzdem für den „überwältigenden Sieg“ feiern. Auch diese Schmierenkomödie wird die Mehrheit der Ungarn durchschauen, tendenziell wohl eher achselzuckend. Denn inhaltlich liegt der Premier auf einer Linie mit seiner Bevölkerung. Wer wie der VP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, das Resultat des Referendums als „Absage an die Flüchtlingspolitik von Orbán“ interpretiert, sitzt einer auf Wunschdenken basierenden Fehlanalyse auf.

Mindestens ebenso seltsam mutet es jedoch an, wenn VP-Außenminister Sebastian Kurz in einer deutschen Talkshow den Pflichtverteidiger Orbáns gibt und nach sorgfältiger Rechenarbeit erklärt, dass 2003 weniger Ungarn für den EU-Beitritt gestimmt hätten als nun gegen die Flüchtlingsquote. Wenn er sich schon zum Referendum äußert, wäre auch ein Wort zu der fremdenfeindlichen Kampagne im Nachbarland angebracht gewesen, in dem die Regierung Migranten pauschal als potenzielle Terroristen und Vergewaltiger verunglimpft.

Viktor Orbán ist der König der Flüchtlingswellenreiter. Er hat das innen- und europapolitische Potenzial der Flüchtlingskrise früher und schärfer analysiert als andere. Im Nachhinein stellt sich seine harte Grenzzaunpolitik als geradezu avantgardistisch heraus; Europa folgt ihm de facto. Orbán hat sein großes Thema gefunden, mit dem er sich aus einem Umfragetief katapultiert und zum Gegenspieler der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, hochstilisiert hat. Mit dem Referendum verfolgte Orbán vor allem den Zweck, den Erregungspegel in der Flüchtlingsfrage hochzuhalten. Er wird versuchen, dieses Spiel, das auch Beobachtern der österreichischen Szenerie bekannt vorkommen dürfte, bis zu den Wahlen 2018 fortzusetzen.

Irgendwann jedoch werden die Bürger, da wie dort, die obsessive Fixierung auf Flüchtlinge satthaben und Antworten auf andere Zukunftsfragen einfordern. Potemkinsche Referenden werden dann nicht mehr zur Ablenkung reichen.

E-Mails an:christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2016)

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