Gerichten gehen die Gutachter aus

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Bei Prozessen wie um die Amokfahrt von Graz stehen Gerichtsgutachter im Zentrum. Nun warnt der Verband: Die Qualität der Gutachten sinkt, den Richtern gehen die Experten aus.

Wien. Sie entscheiden Prozesse. Von ihrer Expertise hängt ab, ob ein Angeklagter womöglich jahrzehntelang hinter Gittern verschwindet, bis an sein Lebensende in eine Anstalt eingewiesen oder freigesprochen wird. Und sie proben nun den Aufstand. Die Rede ist von Gerichtsgutachtern, die zuletzt im Fall von Alen R., also der Amokfahrt in Graz mit drei Toten und mehr als 100 Verletzten, im Mittelpunkt standen.

Matthias Rant, Präsident des Verbandes der Gerichtssachverständigen, formuliert gegenüber der „Presse“ heftige Kritik an der Situation der Sachverständigen. Er spricht von „Missständen“, sinkender Qualität der Gutachten und hat nun einen Brief an alle Gerichtshofpräsidenten gesandt, in dem um Unterstützung gebeten wird: „Es gibt bei den Gerichtsmedizinern keinen Nachwuchs, Verbrecher im Stile einer Elfriede Blauensteiner (österreichische Serienmörderin, Anm.) kommen mit ihren Verbrechen leichter durch als früher.“ Und im Bereich der psychologischen Beurteilung eines Angeklagten „kann man um diese Tarife kein qualitätsvolles Gutachten erstellen“ – also einschätzen, ob eine Gefahr von einem Angeklagten ausgeht, ob dieser ein Wiederholungstäter wird oder ob ein eingewiesener Rechtsbrecher als geheilt eingestuft und damit entlassen werden kann.

„Rentiert sich nicht mehr“

Der Grund für den Aufschrei der Sachverständigen: „Seit rund 20 Jahren wurden die Tarife bei den Psychologen und Gerichtsmedizinern nicht erhöht“, erklärt Rant. Als Folge würden sich immer mehr Experten aus der Liste gerichtlich beeideter Sachverständiger streichen lassen: „Weil sich das nicht mehr rentiert.“ So bekomme ein Sachverständiger für eine psychologische Beurteilung eines Angeklagten, unabhängig davon, wie lange die Erstellung des Gutachtens dauere, nur 195,40 Euro brutto: „Auch wenn dafür 15 Sitzungen notwendig sind. Diese Entlohnung kann nur als Schande bezeichnet werden“, so Rant: „Da ist es kein Wunder, dass es kaum Nachwuchs gibt, also auch einen enormen Mangel bei den Gerichtsmedizinern.“ Die Folge: Im Fachgebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es österreichweit nur fünf Gerichtssachverständige, im Fachgebiet Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin sind nur 152 Personen eingetragen, auf die Richter zurückgreifen können.

Als Folge müssten die (in der Gerichtsliste) verbliebenen Gutachter immer mehr Gutachten produzieren. Wegen des seit rund 20 Jahren nicht erhöhten Tarifs sei aber eben kein qualitätsvolles psychologisches Gerichtsgutachten möglich, kritisiert Rant. Zwar hätte das Justizministerium das Problem erkannt, allerdings habe er die Antwort erhalten, dass eine Tariferhöhung in der aktuellen finanziellen Lage nicht möglich sei: „Für die Gesellschaft ist es ein Problem, wenn derart wichtige Leistungen zur Seite geschoben werden, ohne die Konsequenz auszusprechen.“

Gutachten am Fließband

Besonders problematisch sei die Situation im Maßnahmenvollzug. Also bei Menschen, die wegen einer psychischen Erkrankung nicht in Haft kommen, sondern in eine Anstalt eingewiesen werden. Für diese müsse jährlich ein Gutachten erstellt werden, ob sie geheilt sind und entlassen werden können. Hier käme es aus Kostengründen oft zu Fließbandgutachten mit einer Untersuchungsdauer von teilweise nur zehn Minuten: „Wie soll ein Gutachter in nur zehn Minuten beurteilen, ob jemand jetzt ungefährlich ist. Dieses Risiko nimmt kein Gutachter auf sich, weshalb in diesen Fällen das Gutachten automatisch gegen eine Entlassung ist.“ „Die Presse“ konfrontierte das Justizministerium mit den Aussagen von Rant. Bis zu Redaktionsschluss traf allerdings keine Stellungnahme ein.

ZUR PERSON

Matthias Rant, Präsident jenes Sachverständigenverbandes, der die Experten für Gerichtsgutachten stellt, schlägt nun Alarm. Weil seit fast 20 Jahren die Tarife nicht erhöht wurden, gibt es immer weniger Gutachter, während die Qualität (vor allem in der Psychologie und Gerichtsmedizin) sinkt. [ Klaus Morgenstern ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2016)

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