In Ungarns rechtem Lager bricht nach dem Flüchtlingsreferendum ein heftiger Machtkampf aus. Ministerpräsident Viktor Orbán versucht, die rechte Jobbik-Partei zu erdrücken.
Budapest. Mehr als 60 Prozent der ungarischen Wähler sind rechts von der Mitte zu suchen: Rechte, Konservative, Bürgerliche in diversen Schattierungen. Es sind so viele, dass diese Wählerschaft ausreicht, sowohl die stärkste als auch die zweitstärkste Partei des Landes zu stellen. Die dominante Regierungspartei Fidesz und die einst extrem rechte, neuerdings gemäßigter auftretende Jobbik-Partei. Seit Jahren probieren sie, einander die Anhänger abzujagen. Ein Manöver in dem Ringen ist seit zwei Jahren der Versuch der Jobbik, so „bürgerlich“ zu klingen wie Fidesz. Die Regierungspartei wiederum versucht, so rechtsnational zu klingen wie Jobbik.
Jetzt aber ist regelrecht Krieg um die Vorherrschaft im rechten Lager ausgebrochen. Nach dem Flüchtlingsreferendum am Sonntag verkündete Premier Viktor Orbán, die mehr als drei Millionen Wähler, die sich gegen Flüchtlingsquoten ausgesprochen hatten, stellten eine neue „nationale Einheit“ dar. Das bedeutet im Klartext, dass er fortan auch jene Wähler als seine (potenziellen) Anhänger betrachtet, die beim Referendum in seinem Sinn mit „Nein“ gestimmt haben, aber bislang keine Fidesz-Wähler waren. Tatsächlich sind viele von ihnen Anhänger der Jobbik-Partei.
Gegen deren Parteichef, Gábor Vona, richten die Fidesz-Oberen ein wüstes Trommelfeuer: Er zupfe sich die Augenbrauen. Seine Partei sei von den Russen gekauft und nehme auch das Geld des Oligarchen Lajos Simicska (einst ein enger Verbündeter Orbáns, jetzt aber einer seiner bittersten Feinde). Kein Zweifel: Die Jobbik-Wähler möchte Orbán haben, deren Partei aber aufreiben.
Gegenseitige Abhängigkeit
Das Manöver ist machiavellistisch raffiniert, denn Orbán braucht Jobbiks Unterstützung im Parlament, um die Zweidrittelmehrheit für seine geplante Verfassungsänderung zu bekommen. Dennoch schießt er aus allen Rohren gegen die Partei, in der Hoffnung, dass deren eigene Wähler es Vona nicht verzeihen werden, wenn er in dieser Frage nicht mit Fidesz kooperiert. Vona, so das Kalkül, wird gezwungen sein, Orbán zu umarmen, noch während dieser ihn ohrfeigt. Keine einfache Lage für den Jobbik-Chef, der zu erkennen scheint, was Orbán beabsichtigt. Er solle nicht versuchen, die Nein-Wähler des Referendums zu Fidesz-Wählern zu erklären, sagte Vona. Es gebe auch keine neue „nationale Einheit“, vielmehr habe Orbán das Land gespalten. Und dennoch: Der Zwang ist wirklich da, zur Verfassungsänderung Ja zu sagen. Denn die Basis will es. Um sich aus der Affäre zu ziehen, will Vona Orbán nun „unter vier Augen“ treffen. Er hofft, dass es ihn aufwertet, diese Bereitschaft, über die persönlichen Beleidigungen zum „Wohle der Nation“ hinwegzusehen. Er will sich als gemäßigter, bürgerlicher Staatsmann darstellen, um die moderateren Konservativen im Fidesz-Lager anzuziehen. Es ist großes Kino, was die beiden Parteiführer da vorspielen.
Auch Orbán ist ein wenig in der Klemme. Denn die Idee, die Verfassung zu ändern, kam zuerst von Jobbik. Vona argumentiert, dass dies schon längst hätte gemacht werden können, auch ohne das teure Referendum. Aber dann hätte es so ausgesehen, als gestalte Jobbik die Politik.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2016)