Obwohl das europäische Bankensystem deutlich krisenfester geworden ist, schlummern nach wie vor ungelöste Probleme in Milliardenhöhe in den Bilanzen, sagt EBA-Chef Andrea Enria.
Wien. Auch wenn der Ausbruch der Finanzkrise bereits acht Jahre zurückliegt, haben die europäischen Banken den Neustart immer noch nicht geschafft. Diese Bilanz zog der Chef der europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA), Andrea Enria, am Mittwoch bei der diesjährigen Aufsichtskonferenz der heimischen Finanzmarktaufsicht (FMA). „Die Kernkapitalquote europäischer Banken hat sich zwar von durchschnittlich neun Prozent vor der Krise auf inzwischen 13,5 Prozent deutlich verbessert. Und auch die Quote der notleidenden Kredite ist zurückgegangen: Waren es vor drei Jahren noch sieben Prozent aller Kredite, liegt dieser Wert nun nur noch bei 5,5 Prozent“, so Enria. Allerdings sei auch das immer noch dreimal so viel wie in den USA oder Japan.
Fannie und Freddie saugten
Grund dafür sei, dass etwa in den USA die Neuaufstellung der Branche deutlich schneller erfolgte. So habe es dort eine wesentlich weitergehende Branchenkonsolidierung als in Europa gegeben. Kranke Banken seien dabei vielfach in die Pleite geschickt worden, während sich gesündere rekapitalisieren konnten. Allerdings half auch der amerikanische Staat: „Die beiden vom Staat geretteten Immobilienbanken Fannie Mae und Freddie Mac wurden dazu genutzt, notleidende Kredite richtiggehend aus dem Markt zu saugen.“
Genau dieser Schritt fehle in Europa nach wie vor. Mehr als eine Milliarde Euro würden die notleidenden Kredite (Non Performing Loans, NPL) in Europa brutto betragen. Auch nach Abzug der Wertberichtigungen würde eine hohe Summe übrig bleiben. „Netto betragen die in den Büchern der europäischen Banken schlummernden notleidenden Kredite 600 Mrd. Euro“, so Enria. Das sei mehr, als dem gesamten europäischen Bankensystem seit 2011 an frischem Kapital zugeführt wurde. Es sei auch mehr als sechsmal so viel, wie der europäische Bankensektor jährlich Gewinne mache, und mehr als das Doppelte der Kreditneuvergabe.
Außerdem seien diese faulen Kredite sehr unterschiedlich verteilt. Große Banken hätten im Schnitt nur eine NPL-Quote von vier Prozent, kleinere Institute kämen indes im Schnitt auf 25 Prozent. In zehn EU-Staaten betrage die Quote über alle Banken gerechnet zehn Prozent. Dennoch glaubt Enria, dass das Problem lösbar ist. „Es gibt genug Liquidität auf dem Markt.“ Aufgrund der niedrigen Zinsen gebe es auch genügend risikobewusste Investoren, die bei entsprechenden Margen in den Kauf notleidender Kredite investieren würden. „Viel kann auch ohne finanzielle Hilfe der Staaten erledigt werden.“ Allerdings: „Wenn Regierungen etwas tun möchten, würde ich dem nicht im Weg stehen.“
„Europäische Blaupause“
Es brauche „eine Art europäischer Blaupause“, wie ein funktionierender Sekundärmarkt für die faulen Kredite aufgebaut werden kann. Dies müsse nicht zwangsläufig mit einem Gesetz oder einer EU-Richtlinie erfolgen. Es reiche bereits, wenn die Erfahrungen aus den verschiedenen Mitgliedsländern genutzt würden. Dass es dabei nicht immer um Geld geht, zeige das Beispiel Dänemark. „Dort werden die Werte von Kreditsicherheiten in elektronischen Datenbanken gespeichert und täglich aktualisiert. Käufer der Kredite haben so genaue Informationen darüber, was die Sicherheiten wert sind. Daher ist es auch viel leichter, in Dänemark solche Kredite zu verkaufen.“
Ein Negativbeispiel sei indes sein Heimatland, Italien. Dort dauert es aufgrund der juristischen Vorgaben in der Regel sieben bis acht Jahre, bis von einem Gläubiger die mit einem Kredit verknüpften Sicherheiten eingezogen werden können. (jaz)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2016)