Proteste stoppen polnisches Abtreibungsgesetz

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Die Kaczyński-Partei, die das De-facto-Verbot von Abtreibungen forciert hat, rudert auf einmal zurück. Tausende Polinnen hatten tagelang gegen das Gesetz demonstriert.

Warschau. Die Straßenproteste gegen das Totalverbot des Schwangerschaftsabbruchs in Polen haben überraschend schnell Wirkung gezeigt. Nur drei Tage nach dem Frauenstreik Schwarzer Protest hat das von der rechtskonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) dominierte Parlament den Gesetzesvorschlag überraschend klar abgelehnt. Für eine Annahme des Hardliner-Gesetzes stimmten am Ende einer emotionalen Sejm-Debatte am Donnerstag nur noch 58 Abgeordnete.

352 Parlamentarier, darunter die gesamte, indes seit dem Rechtsrutsch nach den letzten Wahlen marginalisierte Opposition, lehnten eine Weiterbearbeitung des Gesetzes in den zuständigen Parlamentskommissionen ab. In Jarosław Kaczyńskis Regierungspartei wurde der üblicherweise strenge Fraktionszwang ausgesetzt.

Das radikale Abtreibungsverbot der rechtskatholischen Kreisen im Umfeld der Kaczyński-Regierung nahestehenden Bürgerinitiative „Stop Aborcji!“ (Stoppt Abtreibungen!) wurde vor zwei Wochen eingereicht und damals von der PiS-Mehrheit im Grunde gutgeheißen, jedoch zur Weiterbearbeitung in die Parlamentskommission geschickt. Als „Gesetz über Frauenrechte und bewusste Elternschaft“ sah es zwischen drei Monaten und fünf Jahren Haft für den Schwangerschaftsabbruch auch nach einer Vergewaltigung vor.

Bereits heute ist das polnische Abtreibungsrecht sehr restriktiv, erlaubt einen Schwangerschaftsabbruch nur nach Vergewaltigung oder Inzest sowie wenn der Fötus unwiederbringlich geschädigt ist oder Leben und Gesundheit der Mutter auf dem Spiel stehen. Offiziell werden jährlich weniger als tausend Abtreibungen gebilligt.

In einer von heftigen Wortgefechten gekennzeichneten nächtlichen Sondersitzung kam der Antrag auf die Verwerfung der Gesetzesinitiative ausgerechnet von der PiS selbst. Parteichef Jarosław Kaczyński machte das angeblich unüberlegte Verfahren der Bürgerinitiative „Stoppt Abtreibungen!“ für den plötzlichen Meinungsumschwung verantwortlich. „Die PiS ist immer noch und wird immer für den Schutz des ungeborenen Lebens sein“, versicherte Kaczyński.

„Schuss nach hinten“

Allerdings empfahl der gewiefte Machtpolitiker seinen Anhängern auch einen Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten in Polen. „Ich fürchte, der Schuss könnte am Ende nach hinten losgehen“, warnte er, ohne die massiven Straßenproteste gegen das Abtreibungsverbot der letzten Tage beim Namen zu nennen.

Allein am Montag waren landesweit nach offiziellen Polizeiangaben fast 100.000 Polen gegen das Totalverbot auf die Straße gegangen. Am Wochenende waren es noch mehr, allerdings kam es auch zu Gegendemonstrationen der radialen Abtreibungsgegner. Der von der PiS mutwillig vom Zaun gebrochene neue Abtreibungsstreit drohte das Land viel mehr als zuvor die Paralyse des Verfassungsgerichts zu zerteilen. Laut Umfragen sind rund 80 Prozent der Polen gegen eine weitere Verschärfung des Abreibungsgesetzes.

Zuletzt war es kurz nach der Wende 1989 zu einem vergleichbaren gesellschaftlichen Aufruhr in dieser für das katholische Land delikaten Weltanschauungsfrage gekommen. In realsozialistischer Zeit waren Abtreibungen verhältnismäßig leicht möglich, dies wollte das neue demokratisch gewählte Parlament ändern. Seit 1993 herrschte indes ein von allen großen Parteien getragener sogenannter Abtreibungsrechtskompromiss. Selbst während seiner ersten Regierungszeit 2005–2007 wagte es Kaczyński nicht, diesen infrage zu stellen.

Unmut über Kaczyński

„Ihr habt etwas Großes erreicht: Ihr habt auch bisher unpolitische Bürger auf die Straße getrieben“, höhnte in der nächtlichen Sejm-Debatte Joanna Mucha von der Bürgerplattform (PO), die ehemalige Sportministerin der rechtsliberalen Vorgängerregierung. Konsternation und Enttäuschung herrschte dagegen in den bisher regierungstreuen rechtskatholischen Kreisen um Radio Maryja und die Tageszeitung „Nasz Dziennik“. „Ohne Jarosław Kaczyński wäre unser Projekt nicht im Papierkorb gelandet“, klagte Mariusz Dzierżawski von der Bürgerinitiative „Stoppt Abtreibungen!“ bitter.

AUF EINEN BLICK

Abtreibungen. Bereits die aktuelle Gesetzgebung über Schwangerschaftsabbrüche ist im katholischen Polen recht streng und erlaubt Abtreibungen nur nach Vergewaltigung, Inzest oder geschädigten Föten. Der Entwurf einer Bürgerinitiative hätte das Gesetz noch mehr verschärft und Abtreibungen de facto verboten. Die rechtskonservative Regierungspartei hat das Gesetz unterstützt, aber nun im Parlament abgelehnt. Tagelang haben Tausende Polen gegen den Entwurf protestiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2016)

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