Mit Gedankenkraft den Wettkampf bestreiten

Im Bewerb muss das BCI-System sofort funktionieren: eine Herausforderung für das Mirage-91-Team der TU Graz.
Im Bewerb muss das BCI-System sofort funktionieren: eine Herausforderung für das Mirage-91-Team der TU Graz.(c) Lunghammer/TU Graz
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Am Samstag messen sich beim ersten Cybathlon in der Schweiz körperliche Behinderte in sechs Disziplinen. Es ist zugleich ein Rennen der besten Assistenztechnologien.

Noch vor drei Jahren war er Sportdirektor des österreichischen Naturrodelteams. Von einem Tag auf den anderen veränderte ein Schlaganfall das Leben von Gerhard Kleinhofer völlig. Er sitzt seither im Rollstuhl, kann sich nicht mehr bewegen und nur schwer sprechen. An diesem Wochenende nimmt er erstmals wieder an einem Wettbewerb teil: als Pilot des Mirage-91-Teams der TU Graz, das Österreich beim weltweit ersten Cybathlon in einem virtuellen Rennen mit Gedankensteuerung vertritt.

Insgesamt gibt es bei den von der ETH Zürich initiierten Wettkämpfen sechs Disziplinen, in denen die Teilnehmer verschiedene Assistenzsysteme testen. Österreicher sind in drei weiteren Bewerben am Start: Patrick Mayrhofer tritt mit der Michelangelo Hand des Technologieunternehmens Otto Bock an; aus derselben Firma stammen auch die Beinprothesen, mit denen Stefan Lösler einen Hindernisparcours läuft, sowie das mechatronische Orthesensystem, mit dem Lucia Kurs ihren Parcours absolviert. Darüber hinaus gibt es in der Swiss Arena in Kloten ein Fahrradrennen mit elektrischer Muskelstimulation und einen Bewerb mit motorisierten Rollstühlen.

Alltagshindernisse überwinden

Im Vordergrund stehen dabei aber weniger Kraft und Tempo. Die Aufgaben orientieren sich an Anforderungen des täglichen Lebens. „Es geht darum, dass man mit einem gewissen Geschick, mit Übung und Unterstützung durch Technik Alltagshindernisse überwindet“, erklärt Initiator Robert Riener vom Departement für Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich. Dadurch hebe sich der Cybathlon von den Paralympics ab.

Anders als die Teilnehmer an anderen Bewerben bestreitet Kleinhofer seinen Wettkampf in völliger Ruhe. Er sitzt vor einem Computer und trägt dabei eine Haube mit Elektroden, die seine Hirnströme messen. Eine Software übersetzt die Signale, die durch intensives Vorstellen einer Hand- oder Fußbewegung, Singens oder Rechnens zustandekommen, in Steuerbefehle. So bewegt er – gleichsam mit der der Kraft seiner Gedanken – eine futuristisch aussehende Figur. Sie läuft für ihn das Rennen gegen drei Mitstreiter.

Die Technologie dahinter heißt Brain Computer Interface (BCI), wörtlich übersetzt Gehirn-Computer-Schnittstelle. Begleitet wird Kleinhofer dabei von einem Team der TU Graz. Dort forscht man seit rund 25 Jahren an BCI-Systemen – daher auch die Bezeichnung Mirage 91. Die Forscher präsentierten bereits 2003 in einer international Aufsehen erregenden Demonstration, wie ein querschnittgelähmter Mann eine Neuroprothese steuert.Sie nutzen BCI-Systeme aber auch, um ALS-Patienten wieder mit ihrer Umwelt kommunizieren zu lassen. Und selbst bei Schlaganfallpatienten kann ein solches System den Fortschritt in der Rehabilitation beschleunigen.

Während am Krankenbett oder im Forschungslabor die Zeit allerdings kaum eine Rolle spielt, muss das empfindliche System im Wettkampf sofort funktionieren. Darin sieht Gernot Müller-Putz vom Institut für Neurotechnologie der TU Graz auch die Herausforderung. Er hat erst zu Jahresbeginn für seine Forschungsarbeit einen mit zwei Millionen Euro dotierten Förderpreis des Europäischen Forschungsrates erhalten und vor zwei Jahren das heute 19-köpfige Studententeam gegründet. Für ihn sind die Wettbewerbe auch spannend, „weil sich darin Neuentwicklungen von Universitäten und aus der Industrie messen“.

Wiederholung in vier Jahren

„Die Vorbereitung passierte oft außerhalb von Lehrveranstaltungen und regulärer Arbeitszeit“, erzählt Dissertant und Teamchef David Steyrl. Für die letzte Trainingswoche übersiedelte ein Teil des Teams überhaupt in Kleinhofers Heimat, das steirische Gußwerk.

Wie auch immer die Bewerbe ausgehen, es gilt letztlich das olympische Prinzip: Denn indem sie dabei sind, stimulieren Piloten, Forscher und Firmen die Weiterentwicklung von Assistenztechnologien, die vielen Menschen nutzen. Die Veranstalter haben jedenfalls bereits angekündigt, den Cybathlon in vier Jahren zu wiederholen. Und Kleinhofer feiert heute wohl ohnehin: nämlich seinen 36. Geburtstag.

LEXIKON

Brain Computer Interface bezeichnet eine Schnittstelle, die eine Verbindung zwischen Mensch und Computer ermöglicht. Dazu wird beispielsweise die elektrische Hirnaktivität aufgezeichnet, mit Hilfe von Mustererkennung analysiert und anschließend in Steuersignale umgewandelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2016)

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