Bekommt es Merkel mit Schulz zu tun?

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Ein Jahr vor der Bundestagswahl mehren sich die Stimmen in der SPD, die nicht mit Parteichef Sigmar Gabriel antreten wollen. Zum Zug könnte der EU-Parlamentspräsident kommen.

Berlin. „Ich jedenfalls bin ganz entspannt.“ Viel mehr wollte Sigmar Gabriel nicht zu einem alten Gerücht sagen, das am Freitag begann, konkreter zu werden. In der SPD, berichtete der „Spiegel“, mehrten sich die Stimmen, die nicht mit dem Parteichef, sondern mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz an der Spitze in die Bundestagswahl gehen wollen. Es gebe, über alle Flügel und Länder hinweg, eine breite „Bloß nicht Gabriel“-Bewegung, zitierte das Magazin einen „einflussreichen“ SPD-Mann.

Diese Entwicklung zeichnete sich schon vor einer Woche ab, als Abgeordnete aus Gabriels Heimat Niedersachsen Zweifel an der Zugkraft des SPD-Chefs anmeldeten. Als Begründung führten sie die Stimmung an der Basis an. Das deckt sich mit Gabriels nicht gerade berauschenden Beliebtheitswerten – auch in der SPD-Wählerschaft. Außerdem kommt die Partei mit ihm nicht vom Fleck. Im aktuellen „ARD-Deutschlandtrend“ liegt die SPD bei 22 Prozent, weit abgeschlagen hinter der Union (33 Prozent).

Eigentlich wollte Gabriel die Kandidatenfrage auf Anfang 2017 verschieben. Doch die Partei spielt hier nicht mit. Man will verhindern, dass die SPD ohne Spitzenkandidat dasteht, falls die CDU bei ihrem Parteitag Anfang Dezember erneut Angela Merkel nominiert. Auch wenn Gabriel das am Freitag leugnete: „Solange die Union nicht Klarheit hat, wer bei denen antritt, obwohl sie die Kanzlerin stellt, ist die SPD unter gar keinem Druck.“ Dagegen spricht, dass Schulz demnächst erklären muss, ob er für eine weitere Amtszeit als EU-Parlamentspräsident zur Verfügung stünde. Deshalb könnte die Entscheidung noch im Oktober fallen.

Natürlich hat Gabriel auch viele Anhänger in der SPD, zum Beispiel die einflussreiche Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft. Und nach den Gerade-noch-Wahlerfolgen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, erst recht nach der gewonnenen Ceta-Abstimmung, schien es so, als sei ihm die Kanzlerkandidatur nicht mehr zu nehmen. Wenn er sie denn will. Allerdings sollen den SPD-Chef zuletzt Selbstzweifel beschlichen haben, ob er der Richtige ist. Ob er gegen Merkel bestehen kann.

Schon 2012 war ihm die Kontrolle über die K-Frage entglitten. Peer Steinbrück wurde Spitzenkandidat, woraufhin es im Wahlkampf zum Dauerstreit mit Gabriel kam. Und zur erwartbaren Niederlage. Diesen Fehler will die SPD nicht noch einmal machen. Immer mehr Funktionäre sollen der Meinung sein, dass Gabriel nur dann Parteichef bleiben kann, wenn er Spitzenkandidat wird. Er selbst meinte gestern nur: Für eine Partei sei es doch schön, wenn Beobachter mehrere Mitglieder „für in der Lage halten, Frau Merkel abzulösen“.

Für die Kanzlerin, die am Sonntag zu einer Afrika-Reise aufbricht, gab es inzwischen gute Nachrichten – erstmals seit Langem. Im Beliebtheitsranking des „Deutschlandtrends“ gewann sie wieder deutlich dazu, nämlich neun Punkte im Vergleich zu September. Aktuell sind 54 Prozent der Deutschen mit Merkels Arbeit zufrieden. Ihr innerparteilicher Widersacher, CSU-Chef Horst Seehofer, büßte sieben Punkte ein und erreicht nur noch 37 Prozent, noch weniger als Gabriel (39).

Kanzlerin hängt Seehofer ab

Merkels Selbstkritik kam offensichtlich gut an, im Gegensatz zu den Querschüssen aus Bayern. Vielleicht hat sich auch herumgesprochen, dass die deutsche Flüchtlingspolitik schon lange nichts mehr mit einer Willkommenskultur zu tun hat. Jedenfalls war die CSU-Forderung nach einer Obergrenze zuletzt immer seltener zu hören.

Dafür wurde jetzt ein neuer Seehofer-Plan bekannt: In einer Parteisitzung soll er gesagt haben, dass der CSU-Chef nach der Wahl ein Schlüsselressort im Bund übernehmen müsse, um den Vormarsch der AfD zu stoppen. Ob er selbst derjenige sein wird oder ob er auf diese Weise seinen Rivalen Markus Söder, der unbedingt bayrischer Ministerpräsident werden will, wegzuloben versucht, ließ Seehofer offen. Wahrscheinlicher ist Zweiteres.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2016)

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