Das Dilemma mit dem Wachstum

Belastung der Umwelt durch Industrieabgase
Rauchende SchloteErwin Wodicka - BilderBox.com
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Forscher der Webster University in Wien untersuchten den Zusammenhang zwischen verschiedenen Energieträgern und Wirtschaftswachstum. Einen Beweis für förderliche Wirkungen erneuerbarer Energien fanden sie nicht.

„Wir haben herausgefunden, dass die schmutzigsten Energieträger langfristig zu größerem Wirtschaftswachstum führen, während erneuerbare Energien dies nicht tun“, stellt Nikolaos Antonakakis, Wirtschaftsdozent an der Webster University fest. „Letztere haben lediglich kurzfristig einen positiven Effekt.“ Das ist das Ergebnis einer Studie für die die Forscher Daten von 106 Ländern aus dem Zeitraum von 1971 bis 2011 zusammentrugen. Mittels statistischer Analysemethoden ergründeten sie Zusammenhänge zwischen Größen wie Brutto-Inlandsprodukt, CO2-Emissionen pro Kopf und Energieverbrauch. Diesen betrachteten sie unterteilt in Elektrizität, Öl, erneuerbare Energien, Gas und Kohle.

Das Ergebnis ist ein schwieriges. Schließlich ist es ein beliebtes Argument von Umweltpolitikern, Investitionen in Wind-, Sonnen- und andere alternative Energien seien nicht nur gut für das Klima, sondern rentierten sich über einen Schub für das Wirtschaftswachstum. Dies gelte laut Antonakakis aber nur kurzfristig, was Staatenlenker vor ein Problem stellt. „Das ethische Dilemma ist, sich entscheiden zu müssen: zwischen hohen Wachstumsraten sowie nicht-nachhaltiger Umweltpolitik auf der einen Seite und geringem oder Null-Wachstum sowie Nachhaltigkeit auf der anderen Seite.“

 

Gängige Thesen widerlegt

Im Zug der Studie konnte auch die sogenannte Feedback-Hypothese bestätigt werden, die ein bisschen nach dem Henne-Ei-Prinzip klingt. Antonakakis: „Der Zusammenhang besteht in beide Richtungen. Je mehr Energie Länder verbrauchen, desto stärker wird ihre Wirtschaft wachsen. Gleichzeitig gilt: Je mehr sich Länder entwickeln, desto höher wird ihr Energiebedarf. Das liegt etwa daran, dass sie dann mehr Fabriken bauen, die Energie für die Produktion verschlingen.“

Frühere Studien hatten für den Zusammenhang zwischen der Degeneration der Umwelt und den verschiedenen Stadien der wirtschaftlichen Entwicklung eine umgekehrte U-Kurve ins Spiel gebracht. Demnach leidet die Umwelt zwar beim Übergang einer vorindustriellen Wirtschaft in das Industriezeitalter, kann sich dann aber bei der weiteren Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft wieder erholen.

Auch dieser These erteilt Antonakakis eine Absage: „Der fortwährende Prozess des Wachstums verschärft das Problem der Treibhausgase. Wir können keinen Beweis liefern, dass entwickelte Länder der Umweltverschmutzung entwachsen können.“ Die Zusammenhänge sind über alle Länder ähnlich, unabhängig von ihrem Einkommenslevel. Das Wunsch-U muss also begraben werden. Das vielleicht einzig Tröstliche: Investitionen in erneuerbare Energien fördern laut Antonakakis zwar nicht das Wachstum, aber sie schaden ihm auch nicht. Sie wirken neutral.

Nun müssten wachstumswillige Staaten nicht zwangsläufig den Weg über einen höheren Energieverbrauch gehen. „Es gibt eine Reihe anderer Faktoren, die das Wachstum unterstützen können“, so der gebürtige Grieche. Bildung gehört dazu. Aber auch derart generiertes Wachstum würde am Ende – siehe Feedback-Hypothese – wieder zu mehr Energieverbrauch und CO2-Ausstoß führen. Das Dilemma lässt sich nicht wegwischen.

Der Wirtschaftsexperte fordert eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum als allein seligmachenden Maßstab. Damit ist er in Zeiten der Kapitalismuskritik nicht allein. Mit dem Human-Development-Index (siehe Lexikon) steht jedenfalls ein Ersatzkriterium bereit. (tik)

LEXIKON

Zur Wohlstandsbewertung eines Staates dient das Bruttoinlandsprodukt, also der Wert aller im Jahr fertiggestellten Waren und Dienstleistungen.

Wirtschaftswachstum bedeutet: Der Wert steigt.

In den Human Development Index, den Index für die menschliche Entwicklung, fließen alternativ Pro-Kopf-Einkommen, Bildungsgrad und Gesundheit ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2016)


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