Familienrecht: Diät entscheidet nicht über Wohnsitz

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Dass der Vater die Tochter zum Abnehmen animiere, sei kein Grund, dass das Kind bei der Mutter ihr Hauptdomizil haben soll. Das urteilt der OGH zum Fall einer Doppelresidenz.

Wien. Dass seine etwas übergewichtige Tochter abnimmt, ist ihrem Vater ein Anliegen. Er wiegt sie ab, kauft Biolebensmittel und geht mit ihr im Park laufen. Will die Achtjährige auch noch eine Nachspeise haben, dann kann sie sich das durch Bewegung und den sogenannten Laufjoker dazuverdienen.

Bei ihrer Mutter, bei der das Kind genauso viel Zeit verbringt, ist die Welt eine andere. Hier darf die Tochter alles essen, wie sie der Familiengerichtshilfe erzählt. Hier trifft die Achtjährige auch oft ihre Freundinnen, was beim Vater wegen des Lauftrainings nicht möglich ist.

Eigentlich würde sich das Kind wünschen, auch mit der Mutter Sport zu treiben und auch bei ihrem Vater Freundinnen zu treffen. Zu beiden Eltern hat sie eine gute Beziehung. Doch die Eltern selbst vertragen sich nicht mehr gut. Die Mutter ist aus der Ehewohnung ausgezogen, ein Scheidungsverfahren ist anhängig. Ein Mindestmaß an Kooperation zwischen den Eltern ist aber gegeben; so schaffen es die Eltern sowohl im Alltag als auch in den Ferien, gut zu regeln, wer wann beim Kind ist. Beide Eltern haben das Sorgerecht.

VfGH kippte Gesetz nicht

Doch, und nun wird es juristisch spannend, auch bei einem gemeinsamen Sorgerecht muss immer festgelegt werden, wo der Hauptaufenthaltsort des Kindes liegt. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat im Vorjahr entschieden, dass Kinder nach geltender Rechtslage sehr wohl eine Doppelresidenz haben dürfen. Die geltenden Gesetze müssten so ausgelegt werden. Aber der VfGH weigerte sich gleichzeitig, jene Gesetzesstellen aufzuheben, denen zufolge man festlegen muss, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. Hier handle es sich nur um eine Vorgabe für Formalitäten: So müsse etwa laut Melderecht jeder einen Hauptwohnsitz haben.

Aber zurück zum aktuellen Fall. Das Bezirksgericht Wien Innere Stadt und das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien entschieden, dass der Vater das gewohnte Kontaktrecht zu dem Kind weiterhin haben soll. Der hauptsächliche Aufenthalt des Kindes aber sei bei der Mutter festzulegen. Denn würde man das Hauptdomizil der Tochter beim Vater festsetzen, sei zu befürchten, dass sich der Druck auf die Tochter bezüglich sportlicher Betätigung und gesunder Ernährung sogar noch erhöhen würde.

Und schon jetzt, so wurde gerichtlich konstatiert, beschäftige sich das Kind für ihr Alter unangemessen intensiv mit Fragen zu Gewicht und Körperbild. Die Achtjährige ist 140 cm groß und wiegt 42 Kilo. Das Normalgewicht in diesem Alter liegt zwischen 27 und 38 kg.

Der Rechtsstreit zwischen den Eltern ging aber noch zum Obersten Gerichtshof (OGH). Dieser musste nun zum ersten Mal seit dem Erkenntnis des VfGH die Rechtslage auf einen solcherart strittigen Fall anwenden. Und die Höchstrichter erklärten den Rekurs des Vaters für berechtigt.

Bisheriger Hauptsitz im Vorteil

Der OGH erinnerte daran, dass laut VfGH die Festlegung auf einen Haupthaushalt bloß als Anknüpfungspunkt für Folgen abseits des Familienrechts dienen soll. Also für das Melderecht oder die Frage, wo Familien- oder Wohnbeihilfe geltend zu machen ist. In Anbetracht dessen hätten die Vorinstanzen ihre Entscheidung mit dem sportlichen Druck durch den Vater falsch begründet. Dieser könnte nur bei der Frage, inwieweit der Vater in der Lage ist, das Kind zu betreuen, eine Rolle spielen. Aber nicht bei der Festlegung des primären Wohnsitzes, um die es hier geht.

Der OGH (6 Ob 149/16d) hob die Entscheidung der Vorinstanzen auf. Diese sollen nun eruieren, bei wem das Kind hauptwohnsitzgemeldet ist, von welchem Elternteil die Aufgaben wie Meldefragen oder Beihilfen für das Kind bislang wahrgenommen wurden und ob dieser Elternteil auch zu Erledigung dieser Aufgaben geeignet ist.

Klar machten die Höchstrichter aber auch: Gerade in einem Fall wie diesem, in dem ein Elternteil den bisherigen gemeinsamen Haushalt verlässt (hier die Mutter), bedürfte es „einer besonderen Begründung“, falls man die ausgezogene Person bei gleichteiliger Kinderbetreuung nun zum „Domizilelternteil“ erklären wolle. Dabei spiele es rechtlich auch keine Rolle, warum jemand ausgezogen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2016)

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