Euro-Architekt Issing: "Das Kartenhaus wird fallen"

Issing, one of the founding fathers of the euro and a former European Central Bank chief economist, presents his new book in Frankfurt
Issing, one of the founding fathers of the euro and a former European Central Bank chief economist, presents his new book in Frankfurt(c) REUTERS (ALEX DOMANSKI)
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Der Euro-Architekt Otmar Issing übt herbe Kritik an der Richtung der EU und der EZB. Eine politische Union sei derzeit unmöglich. Europa brauche auch keinen gemeinsamen Finanzminister.

Wien/Frankfurt. Otmar Issing gehört zu den Gründervätern des Euro. Die ganze Struktur der Europäischen Zentralbank trägt seine Handschrift. Auch die Idee, die Euro-Zentralbank nach dem Vorbild der Bundesbank zu errichten und ihr ein niedriges Inflationsziel von „knapp unter zwei Prozent“ zu geben, stammt von Issing.

Der Deutsche war der erste Chefökonom der EZB, der er von 1998 bis 2006 angehörte. Die Entwicklung, die EU, EZB und Eurozone seit der Krise genommen haben, ist Issing aber gar nicht recht. In einem langen Interview mit dem Branchenmagazin „Central Banking Journal“, das der „Presse“ vorliegt, übt er massive Kritik.

Seine Befürchtung: Wenn es so weitergeht wie bisher, bestehe wenig Hoffnung. Leider ist dies genau das Szenario, das Issing vorhersagt: „Realistischerweise werden wir irgendwie weiterwursteln und von einer Krise in die nächste stolpern. Es ist schwer zu sagen, wie lang das so weitergehen kann, aber sicherlich nicht ohne Ende. Die Regierungen werden immer mehr Schulden anhäufen – und eines Tages wird das Kartenhaus zusammenfallen.“

Um überhaupt auf einen konstruktiven Pfad zurückzukehren, müsse endlich Klarheit über die zukünftige Richtung der Europäischen Union geschaffen werden, so der Ökonom. Anders als etwa der ehemalige EZB-Chef Jean-Claude Trichet sieht Issing diese Zukunft betontermaßen nicht in einer politischen Union. Im Gegenteil. Diese Fantasie von den Vereinigten Staaten von Europa schade mehr als sie nutze.

Neue Linie aus Berlin

Wenn Politiker noch immer von der Vergemeinschaftung der Schulden und einer politischen Union sprächen, würden sie das europäische Projekt beschädigen. „Eine politische Union wird es in der nahen Zukunft nicht geben“, sagt Issing. Er unterstreicht damit eine Linie, die sich nicht nur in der Bundesbank, sondern auch in der deutschen Regierung immer stärker ausprägt. „Was fehlt, ist eine Verständigung darüber, dass die EU eine Gemeinschaft souveräner Staaten mit einer gemeinsamen Geldpolitik ist“, so Issing.

Trotz aller Schritte der EZB in die falsche Richtung müsse klargestellt werden, dass die Zentralbank etwaige Pleitestaaten nicht mehr mit frisch gedrucktem Geld retten werde. In diesem Zusammenhang hatte der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, kürzlich sogar eine „Insolvenzordnung für Staaten“ vorgeschlagen. Die Unabhängigkeit der EZB sei ihre größte Stärke, argumentiert Issing. Auch das sei auf das „Vorbild Bundesbank“ zurückzuführen: „Keinen Europäischen Finanzminister zu haben war nie ein Problem. Die EZB versucht, die Preisstabilität zu sichern. Und die Regierungen versuchen ihr bestes, die öffentlichen Finanzen in Ordnung zu halten.“

Fehler „vom ersten Tag an“

Leider sei die ursprüngliche Idee des Euro rasch untergraben worden, so Issing. „Vom ersten Tag an hat eine ganze Reihe von Ländern in die falsche Richtung gearbeitet.“ So habe Portugal in den 1990er-Jahren viele Reformen implementiert, um die Kriterien für den Euro zu erfüllen. „Aber als sie dann drin waren, sind die Ambitionen verschwunden.“

Der Löwenanteil an der Kritik gelte aber Deutschland und Frankreich. „So lange die Euroländer souveräne Staaten bleiben, müssen sie sich an den Stabilitäts- und Wachstumspakt halten. Aber leider haben Deutschland und Frankreich den Pakt 2003 gebrochen und ihm einen fatalen Schlag versetzt, von dem er sich nie wieder erholt hat. Jetzt wird er von der EU-Kommission mehr oder weniger ignoriert.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2016)

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