Nach der Schließung von „Népszabadság“ setzte es den nächsten Schlag: Ungarns letzte linke Zeitung, „Népszava“, wechselt den Besitzer. Droht auch dort der Kahlschlag?
Budapest/Wien. „Du wirst sehen, bald haben die Linken gar nichts mehr. Wart es ab!“ Das sagte eine prominente Persönlichkeit im Umfeld der Regierung der „Presse“ vor zwei Jahren. Thema war die linke Zeitung „Népszabadság“, die gerade von Heinrich Pecina gekauft worden war. Wird die Voraussage Wirklichkeit?
Vor einer Woche wurde die renommierte „Népszabadág“ von Pecina „vorübergehend“ geschlossen. Alles deutet aber auf eine Hinrichtung der im Vorjahr beinahe gesundsanierten Redaktion. Warum – darüber wird spekuliert. Einst war die Zeitung das Organ der kommunistischen Partei gewesen, bis 2015 wurde sie von deren sozialistischer Nachfolgepartei mitfinanziert. Sie blieb auch danach links und brachte reihenweise Enthüllungsgeschichten mit hohem Peinlichkeitswert für die rechtskonservative Regierung, zuletzt etwa den Helikopterflug von Viktor Orbáns Kabinettschef, Antal Rogán, zu einer Hochzeit.
Bleibt also nur noch eine linke Tageszeitung, die „Népszava“. Nach Informationen der „Magyar Nemzet“ wurde sie nun vom Schweizer Medienunternehmer Jürg Marquard gekauft. Ironie der Geschichte: Népszabadság hatte zuerst von den Verhandlungen berichtet – als es die Zeitung noch gab.
50 Beschäftigte zittern
Laut „Magyar Nemzet“ wurde die „Népszava“-Belegschaft am Mittwoch auf einer Betriebsversammlung informiert. Ein ranghoher sozialistischer Politiker beschrieb die „Népszava“ der „Presse“ gegenüber so: „Sie ist nach dem Verkauf der ,Népszabadság‘ das einzige Medium, auf das wir noch Einfluss haben“. So las sich das Blatt auch wie ein Sprachrohr der Sozialisten, mit viel Schaum vor dem Mund, wenn es um Viktor Orbáns Regierung ging, aber mit wenig eigenen investigativen Recherchen. Die Abonnentenzahl war dementsprechend gering. Zuletzt beschäftigte das Haus 50 Mitarbeiter. Nächste Woche, so schreibt „Magyar Nemzet“, werden die Redakteure erfahren, wer bleiben darf und wer gehen muss. Der Fall ähnelt gespenstisch dem von „Népszabadság“: Erst aufgekauft von einem ausländischen Geldmenschen und dann „suspendiert“. Droht „Népszava“ ein ähnliches Schicksal?
Marquard Media gibt in Ungarn vor allem Lifestyle- und Frauenmagazine heraus, laut der Website sind das Produkte wie „Joy“, „Playboy“, „Men's Health“ und „Éva“. Eine extreme Verlustnummer wie die „Népszava“ zu kaufen, die dem Eigentümer wegen ihrer schrillen Berichterstattung gegen die Regierung noch dazu Scherereien bereiten kann, passt nicht sonderlich ins Unternehmensprofil. Immerhin: Sollte die „Népszabadság“ dauerhaft vom Markt verschwinden, würde sich für die „Népszava“ als einzige verbliebene linke Zeitung eine Nische öffnen, sie könnte profitieren. Dennoch schwirren bereits Gerüchte in Budapest, dass es auch in diesem Fall der eigentliche Zweck der Sache sei, einen ausländischen Unternehmer das missliebige Medium zerstören zu lassen, um ihn dann dafür anderweitig zu belohnen. Genau genommen kauft Marquard nicht den Verlag der „Népszava“, sondern deren separat von einer in der Schweiz registrierten Firma gehaltenes Veröffentlichungsrecht.
Das Unternehmen wird zum Dunstkreis der ungarischen Sozialistischen Partei gezählt. Der Verlag selbst dürfte nach dieser Transaktion formal erst einmal keine Existenzgrundlage mehr haben. Was Marquard mit der Redaktion macht, wird die Zukunft zeigen.
Für die Kollegen von „Népszabadság“ ist es zu spät. Eine „Zeitung namens ,Népszabadság‘ wird nicht weiter existieren“, sagt Márton Gergely bei seinem Auftritt im Presseclub Concordia in der Wiener Bankgasse, neben der ungarischen Botschaft. Als Grund nennt er politischen „Druck von außen“.
Vor Gergely liegt eine neue Visitenkarte, die alten sind noch in den versperrten Büros. „Stellvertretender Chefredakteur“ steht auf der Visitenkarte vor Gergely. Zusatz: „beurlaubt“. Der zweite Teil des Zeitungsnamens „Népszabadság“ ist durchgestrichen. „Volk“ statt „Volksfreiheit“. „Wir sind bestraft worden. Alle. Auch die technischen Mitarbeiter. Das bricht mir das Herz“, sagt er.
Es sind plausible Vermutungen. Nicht mehr. Aber irgendwann werde Pecinas Medienpaket in „ungarischen Händen landen“, und dann sei die Beweislast erdrückend, so Gergely. 2014 habe der Österreicher den Redakteuren Honig ums Maul geschmiert. „Und wir glauben, dass sein Sinneswandel nichts mit uns zu tun hatte.“ Vom Presseclub wollte Gergely mit Kollegen zu Pecinas Firma VCP ziehen. Mit einem Empfang rechneten sie nicht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2016)