Was passiert, wenn uns künstliche Intelligenz entgleitet?

SPAIN-SCIENCE-FESTIVAL-HAWKING
SPAIN-SCIENCE-FESTIVAL-HAWKING(c) APA/AFP/DESIREE MARTIN
  • Drucken

Wissenschaftler wie Stephen Hawking sehen eine ernste Bedrohung der Menschheit, die Politik hat die Dramatik offensichtlich noch nicht erkannt.

Autonom agierende Maschinen werden uns schon bald einen nicht geringen Teil der Arbeit abnehmen. Und zwar sehr bald: Die ersten selbstfahrenden Lastwagen und Schiffe beispielsweise sind ja schon in freier Wildbahn unterwegs, wenn auch nur testhalber. Montagehallen leeren sich zusehends, Bürosoftware übernimmt einen immer größeren Teil der Routinearbeiten. Das kann, wenn man nicht rechtzeitig Arbeit neu definiert und die Steuer- und Sozialsysteme entsprechend umbaut, durchaus in Massenelend enden.

Aber auch in einer vergleichsweisen paradiesischen Gesellschaft, in der niedere Formen künstlicher Intelligenz die Arbeit übernehmen und die Menschen, sozusagen als Herren der Roboterschöpfung, deren Früchte genießen. Das wäre die angenehme Seite dessen, was wir Digitalisierung, Roboterisierung, Industrie 4.0 und so weiter nennen. Und darüber macht sich auch schon eine Reihe von Menschen ernsthafte Gedanken, wenngleich die diskutierten Konzepte offenbar noch nicht als öffentlichkeitsreif angesehen – und mit abenteuerlichen politisch-ideologisch gefärbten Diskussionen à la „Maschinensteuer“ camoufliert werden. Welche Abzweigung diese Stufe der Digitalisierung nimmt, werden wir alle schon bald erleben. Die Richtungsentscheidung treffen wirtschaftliche und politische Eliten.

Möglicherweise zum letzten Mal. Denn die nächste Stufe der Digitalisierung, die wohl auch noch viele von uns erleben werden, beinhaltet sehr wahrscheinlich eine Form künstlicher Intelligenz, die nahe an die des Menschen herankommt. Das heißt, Maschinen programmieren und produzieren dann selbsttätig Maschinen, interagieren selbstständig mit anderen Maschinen und treffen autonome Entscheidungen, ohne dass ein Mensch eingreifen muss. Und nein: Das ist nicht Science-Fiction. Selbstlernende Programme gibt es schon, und die Speichertechnologie, an der die Entstehung echter künstlicher Intelligenz hängt, macht atemberaubende Fortschritte.

An diesem Punkt taucht die existenzentscheidende Frage auf: Was passiert, wenn uns diese künstliche Intelligenz entgleitet? Wenn Maschinen Menschen nicht mehr brauchen und keine Möglichkeit mehr besteht, sozusagen den Stecker zu ziehen? Wenn sich selbst sehr schnell weiterentwickelnde Maschinen plötzlich intelligenter als Menschen und damit auch außerhalb der Kontrolle von Menschen sind?

Nein, auch das ist nicht Science-Fiction. Die brillantesten Köpfe dieses Globus machen sich darüber Gedanken. Stellvertretend für alle der Ausnahmewissenschaftler Stephen Hawking: „Künstliche Intelligenz kann die großartigste Errungenschaft der Menschheit werden. Bedauerlicherweise kann sie auch die letzte sein“, fürchtet er. Tesla-Gründer Elon Musk hält künstliche Intelligenz gar für bedrohlicher als Atomwaffen. Die beiden gehören zu einer Gruppe von 1000 Vordenkern, die eine Petition zur Kontrolle der Entwicklung in diesem Bereich unterzeichnet haben.

Eine, die sich vor allem gegen die Entwicklung von intelligenten Waffen richtet. Denn die militärische Forschung ist in diesem Bereich wie so oft am weitesten. Drohnen, die ihre eigene Software entwerfen und Ziele autonom definieren und bekämpfen, sind dort keine ferne Zukunftsspinnerei mehr. Die Vorstellung, dass sich solche Systeme autonom gegen ihre „Herren“ richten, zeigt das Bedrohungspotenzial für die Menschheit als Ganzes recht krass.

Der Geist ist (ebenso wie im Fall der Kernspaltung) längst aus der Flasche – und lässt sich nicht mehr zurückzwingen. Es wird also, wie bei der Atombombe bisher erfolgreich praktiziert, darauf ankommen, die Kontrolle über ein potenziell existenzbedrohendes System zu behalten und Grenzen für Entwicklung und Anwendung zu setzen. Das ist eine politische Mammutaufgabe für die nächsten Jahrzehnte, die für die Menschheit mindestens ebenso entscheidend wie die (bisher erfolgreiche) internationale Ächtung des Einsatzes von Atomwaffen sein wird. Beunruhigend, dass das politische Bewusstsein dafür noch zu fehlen scheint.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Den „Geist von Alpbach“ mache der offene Austausch mit Forumsteilnehmern verschiedener Disziplinen aus, so Schroeder.
Wissenschaft

Gemütlichkeit auf der Erde endet bereits in 500 Millionen Jahren

„Aufklärung 2.0“ ist das heurige Motto der Gespräche. Renée Schroeder setzt sich in ihrem neuen Buch damit auseinander: Wie wir die „Evolution überlisten“ – und welche Verantwortung daraus erwächst.
CHINA-SCIENCE-QUANTUM-SECURITY
Wissenschaft

Der Satellit im All, das Schwarze Loch in der Badewanne

Zwei ganz unterschiedliche Experimente zum Thema Verschränkung: Ein österreichisch-chinesisches Team misst, ob Photonen auch über eine Entfernung von 1000 Kilometern verbunden bleiben; ein israelischer Physiker simuliert Licht mit Schall – und will so die Hawking-Strahlung bestätigen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.