An der Front gegen den IS: "Schwarze Einheit kennt keine Gnade"

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TOPSHOT-IRAQ-CONFLICT-MOSUL(c) APA/AFP/SAFIN HAMED
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15 Kilometer vor der nordirakischen IS-Hochburg machen Spezialeinheiten Jagd auf Jihadisten der Terrormiliz. "Den Selbstmordattentäter nehm ich mir vor", sagt einer. Lokalaugenschein aus der Kampfzone.

Schon am frühen Sonntagabend feierten Hunderte Menschen am Straßenrand die endlos lang wirkenden Truppentransporte. Es wurde gesungen, gewinkt, mit Handys fotografiert. Dabei verkündete der Präsident des Irak, Haidar al-Abadi, den Start der Mossul-Offensive erst Stunden später am frühen Morgen. An der Front herrschte zu diesem Zeitpunkt Betriebsamkeit. Die ganze Nacht über wurden Panzer und Artillerie auf Lastwagen geladen und zu den Stellungen gebracht. Angesichts des Lärms war für die Soldaten in ihrer Basis in Tal al-Laban kaum an Schlaf zu denken. Sie spielten Backgammon und tranken heißen Tee gegen die Kälte der Nacht. Die Hunderten Krankenwagen dürften sie wohl kaum nervös gemacht haben. Die standen etwas abseits ordentlich nebeneinander geparkt.

„Um 5.30 Uhr kam der Befehl, dass wir die Trenngräben zuschütten und angreifen müssen“, erzählt Unteroffizier Aiyub von den kurdischen Peshmerga in einem mit Sandsäcken und Erdwällen verbarrikadierten Unterstand an der Front. Es sind die Truppen der autonomen Kurdenregion KRG, die am Montag den ersten Schritt auf dem Weg zur Rückeroberung Mossuls machten. Sie begannen von Khazer, vom Osten her auf die zweitgrößte irakische Stadt vorzustoßen. „Heute sind wir die Einzigen, die angreifen“, erklärt Aiyub, knapp eine halbe Stunde nach Beginn der Offensive ins Gebiet der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). In den nächsten Tagen dürfte auch der Einsatz der irakischen Armee bevorstehen. Sie soll zwar ihren Aufmarsch abgeschlossen haben, aber noch nicht vollständig gefechtsbereit sein.

Ziel der Peshmerga ist es, von Khazer aus bis zu der einst von Christen bewohnten Stadt Karakosch vorzudringen. Von dort sind die Außenbezirke Mossuls nicht weit. Aber von diesem Ziel trennen sie bisher noch 15 Kilometer und eine Reihe von Dörfern in der Hand des IS. Auch im Norden und Süden von Mossul muss es noch ähnliche vorbereitende Operationen gegen den IS geben. Denn an einigen Stellen sind Iraks Armee und die Peshmerga nicht nah genug an die IS-Hochburg herangekommen. Die Jihadisten müssen noch aus einigen Gebieten vertrieben werden – und das kann wertvolle Zeit kosten. Die Offensive auf Mossul, die seit einem Jahr schon so oft angekündigt worden war, dürfte deshalb keine schnelle Befreiung der Stadt bringen. Der IS wird alles daransetzen, um den Vormarsch der vermeintlichen „ungläubigen Armee“ hinauszuzögern.

Deutsche Raketen gegen IS-Fahrzeuge

(C) DiePresse

„Momentan kann man nicht abschätzen, wie viel Zeit für Mossul gebraucht wird“, sagt Aiyub. „Aber es kann sicherlich Wochen dauern.“ Er ist jedenfalls zuversichtlich, dass die Offensive ein großer Erfolg wird. „Jeder, der an Gott glaubt, wird positiv denken“, meint der Offizier und streicht sich über den dicken Bauch, der die Knöpfe seiner Uniformjacke in Tarnfarben gefährlich anzuspannen scheint. Aber da ist auch noch Deutschland, das er besonders lobt. Er meint natürlich die Milan-Raketen, die Berlin in die KRG lieferte und mit denen die Selbstmordfahrzeuge des IS problemlos vernichtet werden können.

Der 43-jährige Soldat zeigt dann vom Außenposten auf dem Hügel in Khazer auf die angelegte Piste, die zu einem Hügelkamm führt. Dort fahren zwei Panzer, 20 gepanzerte Fahrzeuge und ein Lastwagen mit einer großkalibrigen Kanone auf der Ladefläche. Von dort geht es hinunter in eine weitläufige Ebene mit den Dörfern Kaberli und Kharabat Sultan, die vom IS besetzt sind.

Panzer geben Feuerschutz

Die Kolonne der Peshmerga kommt dabei nur gelegentlich unter Mörserfeuer. Vom Hügel geben die beiden Panzer Feuerschutz. Ihr dumpfes Granatendonnern vermischt sich mit Schüssen aus Duschkas – den schweren MGs – und aus Kalaschnikows. „Das sind wir jetzt, das die anderen“, kommentieren umstehende Peshmerga-Soldaten. Plötzlich gibt es einen lauten Knall, und die Erde bebt leicht. „Autobombe“, heißt es dann lapidar. „Bestimmt von einer deutschen Milan-Rakete abgeschossen.“ Wenig später schlagen Bomben ein, und ein dunkelgrauer Rauchpilz steigt auf. „Das sind die Amerikaner“, mischt sich Gharib Mohammed ein, der sich als einfacher Peshmerga vorstellt und seit dem IS-Angriff 2014 bei der Armee ist. „Sehen Sie, die Terroristen haben nicht die geringste Chance.“ Bald sei es mit ihnen in Kaberli und später auch in Mossul vorbei, sagt er fast amüsiert.

Der 36-Jährige mit dem dichten Schnauzer zündet sich eine dünne Zigarette an. „Jetzt kommt gleich die Zeit der Schwarzen Einheit, und die kennt keine Gnade“, sagt er geheimnisvoll. Sie seien harte Jungs und extra für den Straßenkampf ausgebildet. Tatsächlich fährt wenig später eine lange Kolonne pechschwarz lackierter Panzerwagen und Mannschaftstransporter den Hügelkamm hinunter. Mohammed erkennt allein am Gefechtslärm, dass seine Lieblingstruppe das Dorf erreicht hat und kämpft. Es ist fast so, als würde er einem Orchester lauschen. „Hören Sie, das müssen die Schwarzen sein.“

Der Oberkommandierende der gesamten Operation ist Scheich Jafaar von der Einheit 10. Er dirigiert in Sichtweite von Kableri die Spezialeinheit über Funkgerät. „Seid vorsichtig, fahrt langsam vor“, spricht der grauhaarige und erfahrene Kommandeur ins Walkie-Talkie. Über die Brust trägt er ein Pistolenhalfter und einen Patronengurt. Neben ihm eine Milan-Batterie mit knieendem Schützen. Aus dem Dorf schallt Maschinengewehrfeuer. „Verschwendet bloß eure Munition nicht“, lautet sein Befehl. Schwarzer Rauch steigt auf, weil IS-Kämpfer aus Angst vor Luftangriffen Autoreifen anzünden. Dann folgt der Funkverkehr der Schwarzen Kämpfer: „Ich sehe den Selbstmordattentäter, den nehme ich mir vor.“ „Lass den in Ruhe, was willst du nur von dem?“ „Du schreibst mir gar nichts vor!“ Sofort schreitet Scheich Jafaar ein: „Hört auf zu streiten und bleibt konzentriert, das ist ein Befehl.“ „Jawohl“, ist vom anderen Ende der Leitung kleinlaut zu hören. Danach ertönt wieder Maschinengewehrfeuer. Dann lässt eine riesige Explosion die Erde beben und eine riesige Rauchwolke in den Himmel steigen.

„Seid ihr okay?“, ruft der Kommandeur in sein Funkgerät. Es war erneut ein Selbstmordattentäter, der sich mit seinem Fahrzeug in die Luft jagte. Für den Kommandeur dauert die Stille viel zu lang, aber dann kommt doch noch das Okay. „Alles in Ordnung.“ Die IS-Kämpfer nützen die Rauchschwaden für die Flucht. „Drei oder vier fahren auf Motorrädern davon“, klingt es aus dem Funkgerät. Der Mann hinter der Milan-Rakete kann sie auf seinem Display deutlich erkennen. „Sie sind zu einem Treffpunkt gefahren“, sagt der Schütze. „Denn sie wurden von einem Auto aufgenommen.“

Von Tunneln durchzogen

Ihren Name wollen die Mitglieder des Schwarzen Einsatzkommandos nicht nennen. Aber sie erzählen gern, als sie nach ihrer erfolgreichen Mission zurückgekommen sind. „Das ganze Dorf ist von Tunneln durchzogen, überall sind Minen angebracht“, sagt ein etwa 20-Jähriger auf dem Beifahrersitz eines riesigen schwarzen Geländewagens. Er trägt ein Tuch im Rockerstil um den Kopf. „Wir haben nicht viel von denen gesehen, obwohl wir einfach so reingefahren sind“, meint er. „Es waren vielleicht zehn bis 15 Terroristen im Dorf“, sagt der Fahrer eines gepanzerten Fahrzeugs. „Sie haben so viele Häuser zerstört, und am Ende sind sie feige wie die Hunde davongelaufen.“ Sie würden gern mehr erzählen, aber sie werden schon wieder zum Einsatz gerufen. Sie müssen im Dorf nach versteckten IS-Kämpfern suchen, damit das Minenräumungsteam ungefährdet an die Arbeit gehen kann.

Aber auch danach ist für die Schwarze Spezialtruppe noch nicht Schluss. In wenigen Kilometern Entfernung wartet das Dorf Kharabat Sultan. Die regulären Peshmerga-Einheiten konnten den Ort bisher noch nicht einnehmen. Um jedoch den ersten Kriegstag der Offensive zu einem vollen Erfolg werden zu lassen, muss Kharabat Sultan auch noch vom IS befreit werden. Natürlich ist das wieder eine Aufgabe für die harten Jungs in ihren pechschwarzen Fahrzeugen.

DIE MILLIONENSTADT MOSSUL

Mossul atmet Geschichte. In der historischen Wirtschaftsmetropole wurde einst auch der feine Baumwohlstoff Musselin gehandelt, von dem die Stadt ihren Namen hat. Im 21. Jahrhundert erlebte Mossul Krieg und Terror. Nach dem Sturz von Iraks Autokraten Saddam Hussein 2003 war die Stadt Zufluchtsort für dessen Anhänger und Militärs, die sich später teilweise dem IS anschlossen. Vor dem IS-Angriff im Juni 2014 lebten 1,5 Millionen Menschen in Mossul, vorwiegend sunnitische Araber, aber auch Minderheiten wie Christen, Kurden und Jesiden.

AUFSTIEG UND FALL DES IS IM IRAK

Juni 2014: Es ist ihr größter Triumph: Kämpfer der Terrormiliz IS bringen im Nordirak auch die Millionenstadt Mossul unter ihre Kontrolle. Am 29. Juni rufen sie ein „Kalifat“ in den von der Terrormiliz kontrollierten Gebieten in Syrien und dem Irak aus.

August 2014: Die USA fliegen erste Luftangriffe im Nordirak, im September folgt Frankreich.

Dezember 2014: Kurdische Kämpfer befreien begleitet von US-Luftangriffen das Sinjar-Gebirge vom IS. Die Terroristen haben dort Massaker an der religiösen Minderheit der Jesiden verübt.

März 2015: Irakischen Truppen gelingt es, auchdas strategisch wichtige Tikrit zwischen Mossul und Bagdad vom IS zurückzuerobern.


April/Mai 2015: Dem IS gelingt mit der vollständigen Eroberung von Ramadi, westlich von Bagdad, ein kleiner Befreiungsschlag.


Juni 2016: Die irakische Armee nimmt unterstützt von US-Luftschlägen die IS-Hochburg Falluja im Zentralirak ein.

3. Juli 2016: Der IS trägt seinen Terror in die Hauptstadt. Rund 300 Menschen sterben bei einem Autobombenanschlag im Zentrum von Bagdad.

Oktober 2016: DerSturm auf Mossul beginnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2016)

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