Kern: "Keine Bestandsgarantie für SPÖ und ÖVP"

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FPÖ-Wähler "wollen das System und die Eliten auf den Knien sehen", sagt Bundeskanzler Kern der deutschen "Zeit". Auf die Frage nach Neuwahlen antwortet er mit: "Was weiß ich."

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sieht die Politik in Österreich aktuell im "Kampf" mit Rechtspopulisten und Rechtsdemagogen. Es gehe um Anti-Establishment und eine "Politik der Obstruktion - Obstruktion jener politischen Strukturen, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben", sagte Kern Montagabend in Wien im Gespräch mit "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo.

Jene Menschen, die FPÖ in Österreich, AfD in Deutschland oder Le Pen in Frankreich wählen, hätten dabei gar nicht die Erwartungshaltung, dass sich ihr Leben durch ihre Wahlentscheidung positiv verändere. "Diese Leute wollen das System und die Eliten auf den Knien sehen, weil sie sich deklassiert und ausgeschlossen fühlen", so Kern.

FPÖ wird Bestand haben

Der FPÖ gehe es um den "Umbau unseres Staates" hin zu einer 3. Republik. "Die FPÖ hat mittlerweile den höchsten Stammwähleranteil in Österreich. Dieses Phänomen wird nicht von heute auf morgen verschwinden, sondern Bestand haben", meinte der Bundeskanzler.

Das einstige Wohlstandsversprechen, dass es der nächsten Generation einmal besser gehen werde, sei in vielen europäischen Ländern abhanden gekommen. Zudem gebe es durch die Flüchtlings- und Migrationsbewegungen der vergangenen Monate eine gewisse "kulturelle Irritation". Es brauche daher einen noch radikaleren Politikwechsel und eine klarere Sprache, so Kern.

"Keine Bestandsgarantie für SPÖ und ÖVP"

Die Menschen hätten genug von "verschwurbelter Politik in Hinterzimmern". Wenn es den Regierungsparteien nicht gelinge, die Alleinstellung und Erkennbarkeit zu steigern sowie politische Lösungen zu liefern, "gibt es keine Bestandsgarantie für SPÖ und ÖVP". Die Bundespräsidentschaftswahl, bei der die Kandidaten von SPÖ und ÖVP bereits in der ersten Runde ausgeschieden waren, sei ein "erster Vorgeschmack" auf diese Entwicklung gewesen. Kern zeigte sich überzeugt, "dass es nach unten kein Limit gibt." Die "größte politische Herausforderung" sei die Überwindung der Spaltung der Gesellschaft.

Neuwahlen? "Was weiß ich"

Ob er im nächsten Jahr mit Neuwahlen rechne, ließ der Kanzler offen: "Was weiß ich. Wir sind bis 2018 gewählt." Grundsätzlich wären die Koalitionsparteien gut beraten, bis dahin alles zu versuchen. Eine mögliche Wahl des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer zum Bundespräsidenten ist für Kern jedenfalls kein Grund, Neuwahlen vom Zaun zu brechen. "Das würde ich in keinerlei Zusammenhang sehen." Außerdem hoffe er, dass sich die Österreicher für den pro-europäischen Grünen Alexander Van der Bellen entscheiden.

Man muss Leute auch enttäuschen

Die vielen zornigen Reaktionen auf seinen Schwenk beim Freihandelsabkommen CETA bezeichnete Kern als interessante Erfahrung. Letztlich müsse man in dieser Position akzeptieren, dass das wenig mit einem persönlich zu tun hat. "Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo du halt Leute auch enttäuschen musst."

Der Andrang in der historischen Säulenhalle des Museums für angewandte Kunst (MAK) war Montagabend beim "Zeit"-Event mit dem Kanzler groß. Für österreichische Verhältnisse ungewöhnlich waren auch die strengen Sicherheitskontrollen: Das Publikum wurde durch Metalldetektoren geschleust, Taschen wurden durchsucht, die Security nahm sogar kleine Taschenmesser ab, mit denen man an europäischen Flughäfen problemlos durchgelassen wird.

Ist Christian Kern furchtlos?

Österreichs politisches Personal mit Kern und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) an der Spitze ist derzeit in deutschen Medien gefragt. Während Kern in Österreich das traditionelle Pressefoyer nach dem Ministerrat zu Grabe getragen hatte, positionierte er sich etwa zuletzt in einem 24.000-Zeichen-Essay in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gegen Europas Austeritätspolitik, ließ sich im Magazin "Cicereo" in Sachen Flüchtlingspolitik als "Kanzler Europas" feiern, posierte in "Focus" als "Alpen-Obama" und diskutierte nun auch noch mit dem "Zeit"-Chefredakteur. Giovanni di Lorenzo zeigte sich am Ende denn auch beeindruckt von seinem Gesprächspartner: "Sie sind der furchtloseste Bundeskanzler, den ich je erlebt habe, zumindest auf dem Podium."

(APA)

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