Wie hoch der Prozentsatz nun auch wirklich ist – es gibt ein Problem mit den Abschiebungen. Womit sich auch der Sinn der Obergrenze erschließen sollte.
Sofern noch jemand eine Begründung für die Flüchtlingsobergrenze sucht – für den Fall, dass er von Vertretern einer NGO, linken Politikern oder Social-Media-Meinungsmachern in eine Debatte darüber verwickelt werden sollte: Bis zu 90Prozent jener Menschen, die zu uns kommen, würden auch nach negativem Asylbescheid nicht wieder abgeschoben. Sagt Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil. Das Innenministerium spricht zwar nur von 30 Prozent, gesteht aber zu, dass man nicht wisse, wie viele Personen mit negativem Asylbescheid derzeit in Österreich aufhältig seien, da man nicht sagen könne, wie viele davon Österreich auf eigene Faust wieder verlassen haben.
Der Verdacht liegt jedenfalls nahe: Wer – aus welchen Gründen auch immer – nach Österreich kommt, hat gute Chancen, dazubleiben. Zum einen fehlen Rückführungsabkommen mit Staaten wie Afghanistan oder Marokko. Zum anderen nehmen auch nicht alle europäischen Länder die Dublin-Fälle zurück, nach Griechenland zurückschicken geht nicht, Ungarn weigert sich. Und nimmt ein Land wie Kroatien Flüchtlinge zurück, machen die NGOs dagegen mobil. Wobei man hier dann mitunter in der Arigona-Falle – herzlos, aber rechtskonform – sitzt: Bestens integrierte syrische Schulkinder müssen nach Kroatien zurück, weil dieses Land eigentlich für sie zuständig ist.
Die Schlussfolgerung aus diesem Dilemma ist also – und die Regierung hat diese nach längerem Hin und Her auch (ein-)gezogen: eine Obergrenze. Damit von jenen, die man dann nicht mehr abschieben kann, so wenige wie möglich kommen. Also am besten nur jene, die wirklich verfolgt sind. Und nicht die Wirtschaftsflüchtlinge, die sich an den Treck der Syrer angehängt haben.
Und der Notstand, von dem immer wieder die Rede ist und auf den sich auch die gleichnamige Verordnung bezieht, hat ja weniger damit zu tun, dass hier nun Zustände wie in Calais herrschen würden. Sondern damit, dass eine weitere Zuwanderung wie im Vorjahr das ganze Integrationssystem – abgesehen von den Kosten – zum Kippen bringen würde: Was sollen all diese Menschen hier tun? Eine Masse an Mindestsicherungsbeziehern mutmaßlich. In vielen (öffentlichen) Schulen, jedenfalls in Wien, sitzt schon jetzt eine große Anzahl an Schülern mit nicht deutscher Muttersprache. Die Lehrer leisten hier Enormes. Eine (weitere) Überforderung kann nicht das Ziel sein.
Zumal im Fall der muslimischen Zuwanderer ja noch eine religiös konnotierte Problematik hinzukommt. Laut einer Anfang dieser Woche veröffentlichten Studie der Stadt Wien ist ein erschreckend hoher Anteil der befragten muslimischen Jugendlichen in Jugendzentren und Parks anfällig für Extremismus: 59 Prozent von diesen sind homophob, 47 Prozent antisemitisch, 27 Prozent für den Jihadismus entflammbar. Am anfälligsten für Radikalismus sind mit großem Abstand die Tschetschenen.
Das ist für eine sich als liberal verstehende Gesellschaft ein Problem. Man kann – wie bisher teilweise geschehen – in Parallelgesellschaften weiterhin nebeneinanderher leben. Oder man stellt sich dem Problem. Dazu gehört das aktive Herangehen der Aufnahmegesellschaft an die Migranten ebenso wie die Bereitschaft der Migranten, sich darauf einzulassen. Was auch miteinschließt, althergebrachte Wertvorstellungen und Gewissheiten aufzugeben. Dass die Scharia über das Gesetz gestellt wird, ist ein absolutes No-go.
Im Idealfall liefe es auf eine freiwillige Assimilation nach Vorbild der klassischen Einwanderungsländer hinaus. Was nicht bedeutet, dass man seine historische Identität völlig aufgeben muss. Ein irischstämmiger Amerikaner wird sich zu einem gewissen Grad auch immer noch als Ire fühlen. Ein griechischstämmiger Kanadier zu Hause auch noch Griechisch sprechen.
In der Realität wird man aber schon zufrieden sein müssen, wenn die Integration hierzulande halbwegs funktioniert. Und was diese erleichtert, ist eine rationale, koordinierte Flüchtlingspolitik. Mit Obergrenzen und – so weit möglich – mit Abschiebungen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2016)