Flüchtlinge: Wer bleibt, wer geht, ist unklar

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Wie viele Menschen, die einen negativen Asylbescheid erhalten, verlassen tatsächlich das Land? Man weiß es nicht. Auch Innen- und Verteidigungsministerium sind sich uneinig.

Wien. Das Problem gab es schon in der Debatte um die Obergrenze: Ist die Maximalzahl von 37.500 Flüchtlingen bald erreicht? Sind wir noch weit davon entfernt? SPÖ und ÖVP konnten sich eine Zeit lang nicht einigen. Die Antwort ist nämlich: Es kommt darauf an. Und zwar auf die Zählweise.

Die Regierung kam schließlich zum Schluss: Für die Obergrenze sind die Personen, die zum Asylverfahren zugelassen sind, relevant. Wir stehen bei rund 28.300 Verfahren. Würden die Asylanträge gezählt, sähe die Sache wieder anders aus: Hier stehen wir bei 34.600.

Ähnliches wiederholt sich nun in der Debatte um Abschiebungen. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) sprach in einer Podiumsdiskussion das Problem an, dass Menschen mit einem negativen Asylbescheid meist in Österreich bleiben. Mehr noch: „Aktuell ist es nicht wesentlich, ob jemand ins Asylverfahren kommt, weil wir unsere Entscheidungen zu einem hohen Grad – 80 bis 90 Prozent – nicht umsetzen.“

Das reichte aus, um eine Debatte entbrennen zu lassen: Woher kommt diese Zahl? Stimmt sie tatsächlich? Das Innenressort wollte sie jedenfalls nicht bestätigen.

In Doskozils Büro verteidigt man die Aussage des Verteidigungsministers: „Das ist seine Einschätzung, basierend auf seinen Erfahrungen“, heißt es. „Er ist überzeugt davon, dass es stimmt.“ Nachsatz: „Es ist klar, dass es ein Problem bei den Rückführungen gibt.“

11.500 negative Bescheide

Eine Sprecherin von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) stellt hingegen eine ganz andere Rechnung an: Im Jahr 2016 habe es bis Ende September rund 11.500 negative Asylbescheide gegeben. Gleichzeitig wurden bisher 7826 Betroffene außer Landes gebracht – die meisten davon freiwillig. Demnach würden rund 30 Prozent im Land bleiben – nicht bis zu 90 Prozent.

Andererseits: Wie viele Personen mit negativem Asylbescheid sich derzeit in Österreich aufhalten, weiß man laut Innenministerium nicht. Man könne nicht sagen, wie viele davon mittlerweile auf eigene Faust das Land verlassen haben.

Und wer behält nun recht? Das lässt sich abschließend nicht beurteilen. Und zwar aus mehreren Gründen: Während Doskozil von Abschiebungen direkt in Krisenregionen spricht, rechnet das Innenministerium auch die sogenannten Dublin-Rückführungen mit ein. Das sind jene Fälle, in denen Asylwerber vor Österreich bereits ein anderes EU-Land betreten haben. Nach der Dublin-Regelung ist ebendieser Staat für das Verfahren zuständig – dahin werden die Menschen also auch rückgeführt. Von den vorhin genannten 7826 Abschiebungen in diesem Jahr waren 1600 Dublin-Rückführungen.

Abgesehen davon, dass beide Minister für ihre Berechnung unterschiedliche Maßstäbe heranziehen, gibt man auch im Innenministerium zu: „Eine saubere statistische Berechnung gibt es hier nicht.“ Der Grund: Die Zahlen der negativen Asylbescheide lassen sich nicht direkt mit jenen der Abschiebungen vergleichen.

Denn wenn das Bundesamt in diesem Jahr entscheidet, einer Person nicht Asyl zu gewähren, kann es unter Umständen erst im nächsten Jahr zu einer Abschiebung kommen. Oder die Person geht mit ihrem Asylverfahren in die zweite Instanz. Gleichzeitig haben Menschen, die im Vormonat abgeschoben wurden, bereits 2015 das Asylverfahren abgeschlossen. Soll heißen: Man weiß schlichtweg nicht, wie viel Prozent der Menschen mit einem negativen Asylbescheid tatsächlich abgeschoben wurden.

Abkommen mit 39 Staaten

So oder so: In vielen Fällen funktionieren Abschiebungen noch lange nicht so, wie es die österreichische Regierung gern hätte. Denn um Menschen in ihre Herkunftsländer abzuschieben, braucht es Rückführungsabkommen – und Heimreisezertifikate. Derzeit hat Österreich in diesem Bereich bilaterale Abkommen mit 22 Staaten. 17 Staaten haben mit der gesamten EU einen Vertrag abgeschlossen. Mit Marokko und Afghanistan wird seit Längerem versucht, ein Abkommen abzuschließen – ohne Erfolg.

Aber auch was die sogenannten Dublin-Fälle betrifft, gibt es Schwierigkeiten: In einigen Nachbarländern wie Kroatien funktioniert die Zusammenarbeit (siehe unten). Ungarn hingegen nimmt keine Flüchtlinge zurück. Von den rund 13.000 Dublin-Verfahren, die derzeit laufen, fällt immerhin die Hälfte auf Budapest zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2016)

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