Wenn alles anders kommt, als man denkt

Improvisieren. Wenn nix fix ist, muss man sich mit dem Un-vorher-sehbaren (lat. Im-pro-visus) anfreunden. Und lernen, aus dem Stegreif zu agieren. Das fällt vor allem vorausplanenden Menschen schwer. Doch es gibt Tricks.

Von grauer Theorie im Elfenbeinturm hält Lukas Zenk rein gar nichts. Zwar forscht der Wirtschaftsinformatiker an der Donau-Universität Krems zu Innovation und Netzwerken, am liebsten aber untersucht er, was in freier Wildbahn passiert, sprich: beim Unternehmen passiert.

Zenk spielt auch Improvisationstheater. Da stellt er sich mit seinen Schauspielkollegen auf die Bühne und fragt sein Publikum, was die Truppe denn so spielen soll. Was immer das Publikum vorschlägt – Ideenfetzen, Begriffe, schräge Einfälle – was immer kommt, es muss eingebaut und weitergesponnen werden. Wobei auch keiner wissen kann, was der Kollege plant.

Das Prinzip des Improvisationstheaters birgt eine erste Lektion für alle, die gern besser improvisieren würden: den „Yes, and . . .“-Gedanken. Zenk: „Wir sagen Ja zur Situation, akzeptieren sie und bauen auf ihr auf. Und freuen uns über das, was herauskommt.“Das Gegenteil beobachtet er in vielen Unternehmen: Leugnen, Abwehren und Bekämpfen des Unvorhergesehenen – als ob es abzuwenden wäre. Trotzdem fällt vielen das „Yes, and . . .“ schwer. Wie immer muss es von ganz oben ausgehen.

Die schlechte Nachricht für alle Vorausplaner und Perfektionisten: In unserer VUCA-Welt (steht für Volatility, Uncertainity, Complexity und Ambiguity) funktionieren durchgetaktete Meetings und verbindliche Fünfjahrespläne nicht mehr. In Harvard ist Angewandtes Improvisieren deshalb bereits ein Lehrfach (Negotiation by Improvisation). Österreich braucht da noch ein wenig Zeit.

Die gute Nachricht: Improvisieren lässt sich lernen. Gehirnscans von Jazzmusikern zeigen, dass ganz andere Gehirnareale aktiv sind, wenn sie eingelernte Stücke spielen, als wenn sie frei improvisieren. Diese Areale lassen sich trainieren. In vier Schritten:

1. Das Individuum.

„Ich bin nun mal nicht spontan“ ist nur eine Schutzbehauptung. Wer an sich arbeiten will, dem legt Zenk Schnelldenkübungen ans Herz („Nenne mir jetzt sofort fünf Dinge, die Mitarbeiter motivieren“). Oder das „Ding“-Spiel: Person A erzählt etwas, Person B unterbricht sie mit dem Wort „Ding“. A muss daraufhin seine Erzählung blitzschnell variieren, sein Gehirn übt das Hakenschlagen. Oder die alte Wort-für-Wort-Übung: A und B wollen gemeinsam einen Satz bilden. Erst sagt A ein Wort, dann B, dann wieder A – und beide müssen sich laufend an die Vorgaben des anderen anpassen. Am Ende muss der Satz natürlich Sinn ergeben.

2. Der Dialog.

A will seinem Mitarbeiter gerade mitteilen, dass er ihn befördern will, da kündigt dieser überraschend. Wie stellt sich A auf die neue Situation ein? Hier kommt die zweite Grundlektion: immer voll auf den anderen konzentrieren, zuhören, was er zu sagen hat – und daraus die nächsten Schritte bestimmen. Oder in der Verhandlung: Ein großer Fehler ist die „Schaun' ma mal“-Attitüde. Einen groben Plan hat jeder, der in eine Verhandlung geht. Aber auch nicht mehr, weil er meint, damit schon durchzukommen. Jetzt werden sich die Vorausplaner freuen: Richtig gut vorbereitet ist nur, wer schon im Büro überraschende Szenarien durchgespielt hat. Die bloße Beschäftigung mit ihnen schult das Querdenken.

3. Das Team.

Viele Meetings sind ergebnislos, weil ihre Teilnehmer die anderen nur als Stichwortgeber für die nächste eigene Wortspende missbrauchen. Wieder gilt: aktiv zuhören, die Ideen der anderen weiterspinnen – und Lektion 3: „den anderen wie ein Genie behandeln“. Wer ihm das Gefühl gibt, seine Beiträge würden geschätzt und anerkannt, bekommt tatsächlich viel mehr wertvollen Input, auf dem er aufbauen kann. Wirkt Wunder für die Teamkultur!

4. Die Organisation.

Seine ersten Vorlesungen hielt Zenk noch im Frontalvortrag: Ich rede, ihr hört zu. Heute steckt er am ersten Tag den Rahmen ab und lässt dann die Studenten frei arbeiten. Ergebnis ist ein Vielfaches des Outputs. Auch im Unternehmen (vor allem im Konzern) träumen noch viele Geschäftsführer von der totalen Kontrolle – und wundern sich, warum alles so langsam und schwerfällig geht und warum die Leute gegen- statt miteinander arbeiten. Hierarchien auflösen oder zumindest abflachen, sagt Zenk. Jeden mit jedem reden lassen bringt messbar bessere Ergebnisse. Auch das fällt unter Improvisieren. Der Preis aber scheint für manche hoch: die Kontrolle aufgeben und loslassen.

Zur Person

Der promovierte Wirtschaftsinformatiker Lukas Zenk (36) arbeitet als Innovations- und Netzwerkforscher an der Donau-Universität Krems. Seine Erkenntnisse wendet er im Wirtschaftskontext an. Als Improvisationstheater-Schauspieler steht er außerdem regelmäßig auf der Bühne. www.lukaszenk.at

(Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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