Uncanny-Effekte und Popkultur: Warum wir uns manchmal vor Clowns fürchten – und so gern darüber reden.
Folgende Prognose kann man sich für Wien trauen: In neun Tagen werden Sie einem „Creepy Clown“ begegnen. Dann ist Halloween, und rote Nasen liegen im Trend. Denn ausgehend von den USA tauchen auch in Deutschland und Österreich Grusel-Clowns auf, also Menschen, die an unerwarteten Orten kostümiert herumstehen und manchmal tatsächlich Angsteinflößendes tun. Wie eine Kettensäge starten. Wobei der Schrecken bisher ja gerade daher rührt, dass das nicht zu Halloween passiert. Sondern kontextbefreit im Alltag.
Nun kann man argumentieren, dass – sobald Kettensägen im Spiel sind – es egal ist, ob die Akteure grelle Schminke oder, sagen wir, Pferdemasken tragen. Trotzdem scheinen gerade Clowns an einer vertrauten Furcht zu rühren. Darum redet und schreibt man auch so gern darüber. Wobei die Gründe über Küchenpsychologie hinausgehen: Da wäre etwa das ethnologisch untersuchte Angstpotenzial der Maske. Wer sein Gesicht verbirgt, seine Absichten „unlesbar“ macht, verunsichert seit jeher, weil man nicht weiß, ob er nicht auch noch andere Konventionen bricht. Jüngeren Datums ist der Uncanny-Valley-Effekt. Ein menschliches Gesicht, das aber doch nicht ganz menschlich wirkt, irritiert. Man kennt das von Animationsfiguren, Puppen oder puppenhaft Geschminkten.
Den Rest erledigt dann die Popkultur. Denn der gelernt Gute, der– nachdem er sein Opfer durch Harmlosigkeit wehrlos gemacht hat – ins Böse kippt, ist eine Figur mit Potenzial. Man kennt sie vom irren Joker bei Batman oder aus Steven Kings Roman „Es“ – wobei dessen Killer, „Pennywise“, einen realen Vorläufer hat: In den 1970ern mordete und vergewaltigte in den USA John Wayne Gacy, der bei Kindergeburtstagen als Pogo, der Clown auftrat. Viel harmloser ist ein anderer düsterer Spaßmacher: Krusty, der Kinder hassende mehrfach abhängige Clown der Simpsons-Serie.
Tatsächlich wirkt auch das, was jetzt passiert, fiktional. Gruselige Clowns, die aus dem Nichts auftauchen – das liest sich wie das Drehbuch eines Films, den man gesehen haben könnte. Wie der ganze Horror-Clown-Trend ein Medienkind ist. Ohne Berichte kein Franchise-Horror. Ohne diesen aber wären die Clown-Gestalten bloß seltsam, kein „Phänomen“. Und ohne YouTube wäre all das ohnehin halb so reizvoll. Doch was schnell um sich greift, vergeht schnell: So ist das mit den Medienkindern. Insofern ist ein – Judy Collins verzeihe – „Send away the Clowns“-Appell unnötig. Die trollen sich von selbst. Irgendwann.
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(Print-Ausgabe, 22.10.2016)