Die Mossul-Mission der Schiitenmiliz

IRAQ-CONFLICT
IRAQ-CONFLICTAPA/AFP/BULENT KILIC
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Die schiitischen Kämpfer im Nordirak sind überzeugt, dass Mossul ohne ihre Einheit nicht erobert werden kann. Die sunnitische Bevölkerung fürchtet den Einsatz, die Befehlshaber winken ab. Zu Besuch im Camp der Hashd al-Shaabi.

Schwarze Rauchwolken verdunkeln die rote Morgensonne. Beißender Schwefel liegt in der Luft, der in Nase und Hals ätzt. Überall liegen Reste von zerbombten Häusern und abgebrannten Geschäften. Die Stadt Garayah fühlt sich an wie das Ende der Welt. Ende August zündete hier die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Ölquellen und Schwefelminen an, kurz bevor sie von der irakischen Armee vertrieben wurde. Heute sind die Gesichter der Kinder vom Ölruß dick überzogen. Selbst die Felle der Schafe, die im Bombenschutt grasen, sind pechschwarz eingefärbt.

Garayha ist mittlerweile eine wichtige strategische Basis der irakischen Armee für die vor sechs Tagen begonnene Mossul-Offensive geworden. Von hier aus werden Angriffe auf den IS gestartet, der weite Gebiete auf dem Weg in die 60 Kilometer entfernte Metropole des Irak kontrolliert. Irgendwo tief in der staubigen Wüste der Region Garayah liegen auch die Camps der Hashd al-Shaabi (PMU), die ihren genauen Standort nicht verraten wollen. Denn die Präsenz dieser irakischen Volksmobilmachungskräfte ist im Rahmen der Mossul-Offensive ein Politikum.

Nur die Erwähnung ihres Namens setzt die sunnitische Bevölkerung von Mossul in Angst und Schrecken. Die aus 40 überwiegend schiitischen Milizen bestehende PMU ist nämlich berüchtigt für Folter, Mord und Vertreibung von Sunniten. Aber trotzdem könnte der irakische Premierminister, Haidar al-Abadi, den Einsatz dieser gut ausgebildeten Soldaten von rund 100.000 Mann in Mossul befehlen. Bei der Befreiung von Tikrit, Ramadi und Falluja mussten die PMU die Armee unterstützen, sonst wäre der IS nicht besiegt worden. Ein erneuter Einsatz der brutalen Milizen könnte neue Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten provozieren.

Um 8 Uhr morgens stehen sie zum Appell in Reih und Glied. Es sind rund 600 Kämpfer der Hashd al-Shaabi, die in voller Kampfmontur auf steinigem Wüstenboden angetreten sind. Ihr Camp liegt abseits der Hauptstraße nach Mossul, in einem Dorf, dessen Häuser traditionell mit grauem Lehm verputzt sind. Die Soldaten sehen diszipliniert, entschlossen und kampfbereit aus. Sie wirken aber nicht wie unberechenbare Killer, die sunnitische Familien kaltblütig abschlachten würden. Viele von ihnen sind junge Kerle, die aus der Region südlich von Mossul stammen und deren Angehörige vom IS verschleppt oder ermordet wurden.

Ein Teil der Soldaten sind Spezialkommandos, die als Erstes in vom IS besetzte Gebiet eindringen. Gleich daneben steht das fünfköpfige Minenräumungsteam, mit Zangen in den Taschen und Stirnband um den Kopf. „Sie verstecken ihre Bomben im Kühlschrank, unter Leichen oder auch im Brot und in der Milch“, erzählt einer der jungen Männer, der bestimmt nicht älter als 25 ist. Weiter hinten steht die Artillerie des Bataillons. Es sind zehn Fahrzeuge mit Flugabwehrgeschützen und einem Raketenwerfer. „107 mm“ erklärt ein Soldat. „Habe ich selbst gebaut“, fügt er stolz hinzu.

Nicht zu übersehen sind die wehenden Fahnen im Lager. Sie tragen das Emblem der PMU und viele auch das Gesicht von Imam Hussein, der wohl wichtigsten Figur der schiitischen Religionshistorie. Laut Überlieferung wurden der Enkel des Propheten Mohammed und seine Gefährten bei der Schlacht von Kerbala (680 n. Chr.) von einer übermächtigen Armee der Ummayyaden getötet. Husseins Tod gilt bis heute als Ursprung für die Spaltung des Islam zwischen Schiiten und Sunniten.

Zwölf Imame. Im Wagen geht es durch weiße Schwefelschwaden weiter zum zweiten Lager der PMU. „Wir sind Premierminister Abadi unterstellt und gehorchen seinen Befehlen“, erklärt dort Abu Farkhat al-Sadawi, ein namhafter Führer der Hashd al-Shaabi. Auch hier sind religiöse Insignien unübersehbar. An der Wand hängt ein Poster mit den zwölf schiitischen Imamen.

Al-Sadawi sitzt bequem mit überschlagenen Beinen auf einem braunen Sofa im Salon. „Wir haben hier eine besondere Mission“, meint der Herr in legerer Tarnuniform. „Wir warten dafür nur auf den Befehl aus Bagdad.“ Al-Sadawi spricht von einer großen Überraschung, über die er freilich nichts Näheres sagen kann. Es ist ein Militärgeheimnis. Allerdings kann es für die Hashd al-Shaabi im Rahmen der Mossul-Offensive nur eine Aufgabe geben. Sie könnte im Südwesten liegen. Bisher wurde nicht bekannt, wer von hier aus Mossul angreifen soll. Die irakische Armee hat im Norden, Osten und Süden alle Hände voll zu tun. Da bleibt nur die PMU, die als schlagkräftige Truppe diese offene Flanke schließen kann. Und damit stünden sie vor den Toren Mossuls.

Al-Sadawi ist überzeugt, dass Mossul ohne die Beteiligung seiner Miliz nicht erobert werden könne. Angesprochen auf die Ängste der Sunniten wiegelt al-Sadawi ab. Er hält alle Berichte über Grausamkeiten der Hashd al-Shaabi gegenüber Sunniten für fabriziert. „Propaganda“, glaubt al-Sadawi. Reue oder ein Stück Selbstkritik klingt anders, zumal internationale Menschenrechtsorganisationen detaillierte Berichte darüber veröffentlichten. „Warum sollten wir etwas gegen Sunniten haben?“, fragt der PMU-Führer. „Wir haben doch selbst Tausende Sunniten in unserer Armee, wie auch die Christen und andere Sekten des Irak vertreten sind.“

Später geht es über Wüstenpisten Richtung Mossul durch kürzlich befreite Dörfer. Sand wird durch vorbeifahrende Militärfahrzeuge aufgewirbelt und lässt kaum Sicht. Plötzlich tauchen Familien auf, die seit über einem Tag zu Fuß auf der Flucht vor dem IS sind. „Sie haben meinen Sohn getötet“, ruft eine ältere, völlig verzweifelte Frau, „nur weil er bei der Armee war.“ Sie zieht Fotos aus einer schwarzen Plastikhandtasche und zeigt sie herum. „Er wurde nur 22 Jahre alt“, sagt sie weinend.

Verlorene Familie. Hussein al-Hodsher ist Bürgermeister von Mossul, neben ihm ist ein sunnitischer Stammesscheich. Beide sind in ihre am Vortag befreiten Dörfer zurückgekehrt. Der Scheich schießt mit einer Kalaschnikow Salven in den Himmel. Zwei Jahre habe er seine drei Frauen und die Kinder nicht mehr gesehen, erzählt der Scheich mit einem runden Bauch. Der Bürgermeister lächelt nur und beobachtet das Treiben in der Dämmerung.

In der Basis erzählt ein sunnitischer Kämpfer der Hashd al-Shaabi von seiner Familie, die unter der Herrschaft des IS leben musste. „Zwei Jahre habe ich sie nicht mehr gesehen“, sagt Faisal. Der 19-Jährige ist der PMU beigetreten, um sie zu befreien. „Vor 15 Tagen hat sie der IS beim Rückzug als Geiseln mitgenommen.“ Ihm steigen die Tränen in die Augen. Aber wenige Minuten später läutet sein Telefon, ein Freund berichtet, seine Familie sei in einem Dorf gesehen worden. „Sie leben“, sagt er und lacht. Für die meisten der PMU-Soldaten hier spielt die Politik kaum eine Rolle. Sie wollen einfach ihre Familien zurück. Aber trotzdem, bei der Eroberung Mossuls wären sie dabei. „Wir kommen“, ruft Feisal und grinst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2016)

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