Das Rot im Blut

Biconcave-shaped and sickled blood cells
Biconcave-shaped and sickled blood cellsDie scheibenförmigen Blutzellen rechts sind gesund. Die linke ist durch Sichelzellenanämie verformt. Diese Zellen können sich aufeinanderstapeln wie Teller, dann wird die Fuhre zu groß für enge Blutgefäße.
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Erythrozyten transportieren Sauerstoff und machen damit unser Leben möglich. Sie können aber auch töten, wenn sie von Krankheiten befallen sind.

Was macht unser Blut so rot? Das Eisen bzw. die Zellen, in denen es seine tragende Rolle spielt, die sauerstofftragende: die Erythrozyten. Sie gehören zu den häufigsten Zellen im Körper, zu den seltsamsten auch: Sie haben keinen Kern mit DNA, den haben nur ihre Vorläuferzellen, beim Reifen stoßen sie ihn aus, um Platz zu schaffen für Hämoglobin, das erste Protein, dessen Struktur geklärt wurde, 1959 von Max Perutz, 1962 erhielt er den Nobelpreis dafür. Es bindet Sauerstoff, aber nicht immer gleich stark, das ist das nächste Mirakel: Ganz früh im Leben, im Uterus, haben wir anderes Hämoglobin, fötales.

Das holt den Sauerstoff aus dem Blut der Mutter herein. Und das hat an der Schnittstelle, der Plazenta, wenig. Denn der Sauerstoff muss durch die Schranke hindurch diffundieren, im Gegenzug geht CO2 hinaus, das bringt im Blut außen an der Plazenta eine Mischung mit geringerem Sauerstoffgehalt als andernorts. Föten helfen sich, indem sie ihr Hämoglobin anders bauen: Das besteht immer aus vier Subeinheiten, zwei Alpha- und zwei Non-Alpha-Ketten, aber Letztere sind in adultem Hämoglobin vom Typ Beta, in fötalem vom Typ Gamma (sie differieren in einer Position in einer Aminosäure). In den ersten Lebensjahren wird Gamma durch Beta ersetzt, wie lang das geht, ist nicht ganz klar, und ein wenig Gamma behalten wir das ganze Leben.

Aber nicht genug, um vor einer zwiespältigen Krankheit zu schützen: Sichelzellenanämie. Sie ist ererbt, und sie war das erste Leiden, bei dem man zeigen konnte, dass es mit winzigsten Defekten in Genen bzw. Proteinen zu tun hat. Linus Pauling, Chemienobelpreisträger von 1954, tat das in den 1940er-Jahren und nannte solche Leiden „molekulare Krankheiten“. Die der Sichelzellenanämie verformt die Erythrozyten – sie sind Scheiben – so, dass sie an Sicheln erinnern und sich aufeinanderstapeln wie Teller. Die Fuhre ist zu groß für kleine Blutgefäße, sie bringt üble Schmerzen und frühen Tod. Warum hat die Evolution die Mutation dann nicht schon lang weggeschafft aus dem Erbe? Weil sie eine andere Krankheit abwehren hilft, das bemerkte 1954 Anthony Allison (Oxford) in Kenia: Sichelzellenanämie war dort verbreitet, wo auch Malaria es war. Deren Erreger, Plasmodium, greift Erythrozyten an. Schutz gewährt die Mutation, aber sie muss sich in Grenzen halten, darf nur von einem Elternteil kommen, dann bleibt sie harmlos (so ist das auch bei einer anderen Malariaabwehr, die die Evolution bzw. das Blut gefunden hat, Thalassämie).

Wie der Schutz funktioniert, ist bis heute nicht recht geklärt, alle paar Jahre wieder kommen Erfolgsmeldungen, 2013 waren es gleich zwei. Eine Gruppe glaubte gezeigt zu haben, dass Plasmodium aktiv abgewehrt wird (Science, 334, S.1283), eine zweite sah stattdessen eine erhöhte Malariatoleranz des Körpers (Cell 3, S. 398).


Molekulare Medizin. Wie auch immer: Wenn die Kur von Vater und Mutter vererbt wird, treibt sie den Teufel mit dem Beelzebuben aus, wird selbst zur Plage. Die kann man allenfalls lindern, eine kausale Therapie gibt es nicht. Aber eine Idee, die an Pauling anknüpft und molekulare Krankheiten auch molekular reparieren will: Sichelzellenanämie trifft nur adultes Hämoglobin, das mit dem Beta, fötales Hämoglobin mit seinem Gamma ist gefeit: Man müsste also das eine durch das andere ersetzen, altes Blut jung machen. Die Medizin hat schon viele Vorstöße versucht, der jüngste kommt von Mitchell Weiss (Memphis), er hat kranke Erythrozyten gentechnisch so umprogrammiert, dass sie ihr Hämoglobin auf Gamma umstellen: sich unverwundbar machen, gesunden (Nature Medicine 15. 8.).

Aber Blut muss nicht nur in unterschiedlichen Lebensaltern unterschiedlich viel Sauerstoff transportieren, sondern auch bei verschiedenen Anforderungen des Körpers, kurzfristigen und dauernden. Ersteres hat Dopingkontrolleuren viel Mühe beschert – Eigenblut! –, Letzteres brachte die Menschen, die große Höhen besiedelten, in ein Dilemma: In 3500 Metern über dem Meer ist die Luft so dünn, dass 40 Prozent weniger Sauerstoff verfügbar ist als unten am Meer. Die logische Antwort ist eine Erhöhung der Zahl der roten Blutzellen, den Schluss hat die Evolution auch gezogen, bei den Andenbewohnern. Aber die Logik kann in den Tod führen, sie übersieht etwas: Erythrozyten verklumpen, wenn ihre Konzentration zu hoch wird. Deshalb haben die Besiedler des Himalaja den Gegenweg eingeschlagen, die Zahl der Erythrozyten verringert (und das Volumen der Lunge erhöht, sie holen mit einem Atemzug 15 Liter Luft, bei uns sind es zwei bis drei).

Aber ob nun viele oder wenige Erythrozyten im Blut sind – woher wissen sie, wann wo Bedarf herrscht? Sauerstoffhungrige Gewebe signalisieren es, aber Erythrozyten detektieren es auch selbst, an einer Grenze, die fast so dicht ist wie die Plazenta, die der Blut/Hirnschranke, Maiken Nedergaard (Rochester) hat es gezeigt (Neuron 91, S. 851): In engen Gefäßen nehmen Erythrozyten Mangel auf der anderen Wandseite wahr, dann dringen sie durch, machen sich dünn, verformen sich extrem.

Das können sie allerdings nur, solange sie jung sind und gesund, das Altern – Erythrozyten leben um die 120 Tage – schwächt die Elastizität, Krankheiten tun es auch. Deshalb hat der Körper eine Qualitätskontrolle, in der nicht funktionsfähige Erythrozyten ausgeschieden werden (und ihr Eisen rezykliert wird). Zwei Organe sorgen dafür, die Leber und die Milz. In der hat Ming Dao (MIT) die Mechanismen gerade in ihre feinsten Verästelungen verfolgt: Die bilden ein ausgeklügeltes Filtersystem, in dem bleibt hängen, was sich nicht genug verformen kann (Pnas 113, S. 7804).

Dazu gehören auch Zellen, die mit Malaria oder Sichelzellenanämie geschlagen sind, sie werden steif. Ob das Ausfiltern die Leiden mildert, ist unklar, es werden ja stets neue Zellen befallen. Irgendetwas jedoch kann bei der Anämie helfen: Im Schnitt beschränkt sie die Lebensdauer ihrer Opfer in den USA mit ihrem hohen medizinischen Stand auf 47 Jahre. Aber Samir Ballas (Philadelphia) hat in Annalen vier Patienten ausfindig gemacht, die hoch in ihren 80ern lebten (Blood 4. 10.). Das mag an noch einem Mirakel des Bluts liegen: Alle vier waren Frauen, sie haben weniger Erythrozyten als Männer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2016)

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