Josef Reichmayr ist Zeit und Gesetzgeber in seiner Lernwerkstatt Brigittenau voraus. Das Autonomiepaket gehe nicht weit genug.
Man kann als Schulleiter ziemlich viel machen, wenn man von seiner Sache überzeugt ist und die Schulbehörden offen für Innovationen sind – nur sagen sollte man manches nicht zu laut. So könnte man beschreiben, wie es Josef Reichmayr (62) in seinen inzwischen fast 20 Jahren als Direktor der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau manchmal ging. Als er etwa ein Hearing für interessiertes Personal veranstaltete. „Ich kann mich erinnern, wie der damalige Inspektor gesagt hat: ,Von dem Hearing erzählst bitte nichts‘“, schildert er lachend. „Das war quasi illegal. Aber mir war das wurscht. Es kann mir ja keiner verbieten, dass ich interessierte Leute einlade.“
Die ILB mit ihren knapp 400 Schülern ist sicher eine der innovativsten öffentlichen Schulen Wiens: Jedes vierte Kind hat sonderpädagogischen Förderbedarf, alle Klassen werden mehrstufig geführt. Ziffernnoten gibt es keine, dafür ein Schulforum, in dem Entscheidungen diskutiert werden – nicht nur (wie gesetzlich vorgesehen) von den Lehrern und Eltern, sondern auch Schülern und Freizeitpädagogen. Und eigentlich ist der Standort schon ein kleiner Schulverbund: Reichmayr steht nämlich nicht nur einer Volksschule vor, sondern auch der Neuen Mittelschule, die mittels Schulversuchs neun Jahre nach dem Start der ILB dazukam.
Administration „aberwitzig“. Gruppenbildung und die Dauer der Unterrichtseinheiten handhabt Reichmayr seit jeher flexibel. „Die 50-Minuten-Einheiten waren für mich immer schon relativ“, sagt er. Es gebe permanent Ateliers und Kurse, verschieden große Gruppen und Lernzeitblöcke, die sich nicht an den vorgesehenen Stundentakt halten. Nur für die Administration müsse alles in 50-Minuten-Einheiten berechnet werden. „Was uns das Nerven kostet, das alles in den Administrationswürgemasken anzugeben! Aberwitzig!“ Über die Aussicht, dass die Unterrichtorganisation flexibilisiert werden soll, ist sein Team – Reichmayr hat eine Art mittleres Management installiert, aber ohne Extrabezahlung – daher begeistert.
Auch viele andere Punkte des Autonomiepakets hält er für gut – wenn auch nicht für weitgehend genug. „Wir waren ja mit vielem – auch dank der wohlwollenden Resonanz der Behörden – der Zeit und dem Gesetzgeber ein bisschen voraus. Insofern sage ich zu der Reform: Endlich, aber . . .“ Etwa: Endlich flexiblere Klassen – aber was ist mit der räumlichen Flexibilität? Oder: Endlich mehr Freiheiten bei der Unterrichtsorganisation – aber was ist mit der Arbeitszeit der Lehrer? Da wird noch viel passieren müssen.“
Wenn Schulen gesucht werden, die schon ab Herbst die neue Autonomie umsetzen und andere coachen wollen, will Reichmayr dabei sein. „Wir sind eine selbst ernannte Forschungsabteilung im Schulsystem“, sagt er lachend. „Sicher mache ich da mit!“ beba
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2016)