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Jazz & The City: Singübungen mit Lodenfreaks

(c) Andreas Kolarik/Rohrer Herbert
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Das erstmals von Tina Heine kuratierte Jazz & The City verwandelte Salzburg in eine einzige Bühne. Die Höhepunkte: Jazzsängerin Charenée Wade und Klarinettist Rolf Kühn.

Bereits mit den ersten Tönen brachte sie dringend benötigte Wärme in den zugigen Winkel des St. Peter Stiftkellers, wo ihre Bühne aufgebaut war. Charenée Wade, eine seit 2010 bekannte Jazzsängerin aus Harlem, interpretierte das noch in die Zeit der Sklaverei zurückreichende Spiritual „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“ mit einer Hingabe, die an die innigsten Lesarten von Odetta und Paul Robeson heranreichte. Danach ging es nur mehr um die Lieder von „Offering“, ihrer im Vorjahr veröffentlichten Hommage an Gil Scott-Heron. Der 2011 verstorbene Poet und Sänger, der wie kein anderer Musiker die Erfahrung der Entfremdung der Afroamerikaner im eigenen Land analysierte und poetisierte, starb tragischerweise letztlich selbst am Virus der Selbstzerstörung. Seinen Geist wolle sie mit ihren kraftvoll verjazzten Versionen seiner Lieder ehren.

Sie mache „congregation music“, also Musik für eine Gemeinde, stellte sie zu Beginn klar und ließ die zahlreich versammelten Lodenfreaks gleich mal Singübungen machen. Mit „Home Is Where the Hatred Is“ wurde es ernst. Der in den Siebzigerjahren auch von der heroinabhängigen Esther Phillips kongenial gesungene Song mit seiner schockierenden Definition von Heimat – „Home is where the needle marks“ – griff auch in Wades strikt jazziger Lesart unmittelbar. Die Auswahl ihrer Gil-Scott-Heron-Titel war delikat. Sie mied Hits und nahm sich eher unbekannterer Melodien wie „Song of the Wind“ und „I Think I'll Call It Morning“ an.

Bald schien die Zeit angesichts ihrer anmutigen Interpretation stillzustehen. So beim gebetsähnlichen „Peace Go with You Brother“, in dem es rasch ins „stehende Jetzt“ ging, wie Mystiker Meister Eckhart das Phänomen des Verschwindens der Zeit bezeichnet hat. Im Finale brachte sie ihr begeistertes Publikum mit einer ausgelassenen Tanzversion von „Ain't No Thing as Superman“ wieder ins Hier und Jetzt zurück.

Ein Philosoph der Stille

Von ähnlicher Intensität war der Auftritt des 87-jährigen deutschen Klarinettisten Rolf Kühn, der überhaupt das erste Mal in Salzburg auftrat. Vorsorglich war ihm ein sakraler Raum, namentlich die Kollegienkirche, zugedacht worden. Im intimen Trio mit dem Mandolinenvirtuosen Hamilton de Holanda und Perkussionisten Amoy Ribas wurden in erster Linie Stücke des aktuellen gemeinsamen Albums „Spotlights“ gespielt. In verspielten Stücken wie „Pinocchio's Dream“ zeigte Kühn, wie flüssig er immer noch Legatolinien vorgeben kann. De Holanda, der „Jimi Hendrix der Mandoline“, konterte erwartungsgemäß flamboyant. Die große Überraschung dieses spielerisch zwischen Artistik und Kontemplation changierenden Trios war der außerordentlich subtil agierende Perkussionist Ribas. Ein Philosoph der Stille, dieser Mann.

Deutlich mehr Lautstärke entwickelte die famose Londoner Retro-Soul-Band The Ephemerals im Republic, die, wie anderntags der viel zu klischeehaft spielende Corey Henry, viel Jugend ansprach. Das Ideal der neuen Intendantin, Tina Heine, die das Zählkartensystem abgeschafft hat, wäre, dass sich die Menschen durchs Programm treiben lassen. Dass das wegen der hohen Qualität nicht immer klappte, nahm sie schließlich doch gern hin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2016)

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