Polen: „Das Geld kommt immer pünktlich“

Die nationalkonservative Regierung gibt Müttern einen finanziellen Anreiz zur Kindererziehung.
Die nationalkonservative Regierung gibt Müttern einen finanziellen Anreiz zur Kindererziehung.(c) REUTERS
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Ein Jahr nach der Machtübernahme ist die rechtsnationale Regierung beliebt wie nie – dank des üppigen Kindergelds.

„Erhalten Sie 500 plus?“ Die Frage hellt im Supermarkt Topaz im Provinzstädtchen Mińsk Mazowiecki die Mienen umgehend auf. Sie bezieht sich auf das Regierungsprogramm zur Bekämpfung der demografischen Krise, auf die Polen mit der EU-weit geringsten Geburtenrate von 1,3 zusteuert. Flüchtlinge will die seit einem Jahr allein regierende rechtsnationale Kaczyński-Partei nicht aufnehmen, Gastarbeiter sind wegen der tiefen Löhne, abgesehen von den Ukrainern, selten. Die Kehrtwende soll nicht zuletzt aus patriotischen Gründen von innen kommen. Im Wahlkampf hatte Jarosław Kaczyńskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) deshalb mit neuen Sozialausgaben geworben. Das zentrale Programm heißt 500 plus und wird trotz Zweifeln an der Finanzierbarkeit seit April ausgezahlt. Die meisten Familien erhalten ein Kindergeld, das kaufkraftbereinigt über jenem von Schweden liegt.

Ewa K. hat zwei Söhne im Schlepptau. Da ihr Mann zuviel verdient, bekommt sie das Geld nur für ein Kind. Die rund 120 Euro teilt sie gerecht auf beide auf. „Das Geld kommt ins Sparschwein“, erklärt sie. Jolanta F. hat ihrem Sohn Kacper mit dem Geld das lange erträumte Fußballtraining ermöglicht sowie einen zusätzlichen Englischkurs. Die Hälfte der 500 Zloty sind weg, den Rest legt sie für später zur Seite.

Noch wird Mińsk Mazowiecki von der oppositionellen, liberalen Bürgerplattform (PO) regiert, doch auch im Sozialamt der 40.000-Einwohnerstadt im Osten von Warschau hört man nur Gutes über das in Polen erstmals seit der Wende von 1989 vom Staat ausbezahlte Kindergeld. „Die Antragssteller kommen plötzlich aufrechten Ganges in die Sprechstunden“, erzählt Elzbieta Kowalik-Wirowska, die Leiterin des städtischen Sozialamts. 5000 Kinder unter 18 Jahren gibt es in der Stadt, rund 4600 erhalten das Sozialprogramm 500 plus. Mehr als 3000 Familien profitieren davon.

In der Regierung lange umstritten

Auch zwei Ukrainerinnen erhalten das staatliche Kindergeld. Die PiS mag bisweilen xenophob klingen, etwa in der Flüchtlingspolitik. Bei den Sozialleistungen jedoch sind Polen und Nicht-EU-Ausländer gleichgestellt. Monatlich knapp eine halbe Million Euro zahlt das Sozialamt von Mińsk Mazowiecki zusätzlich aus. In der Hauptstadt wird darüber noch diskutiert und gelästert, doch selbst die Opposition hat versprochen, das Kindergeld nicht mehr abzuschaffen. Das PiS-Programm zur Anhebung der Geburtenrate hat Mińsk Mazowiecki verändert. „Das 500-plus-Programm hilft uns allen sehr viel“, stellte die Sozialamtsleiterin fest. „Das Geld kommt immer pünktlich, und es kommt immer genug.“

Selbst im Kabinett von Regierungschefin Beata Szydło war ein so hohes Kindergeld lange umstritten und führte sogar zum Rücktritt des Finanzministers. Doch im Unterschied zu ihren Vorgängern hat die PiS die meisten der zentralen Wahlversprechen nach dem Sieg nicht unter den Tisch fallen lassen. Das schlägt sich zwar auf den Schuldenstand, erhöht aber das Vertrauen in die neue Regierung, die sich in der Sozial- und Wirtschaftspolitik neben dem konservativen Weltbild von der christlichen Sozialethik leiten lässt.

Ein Nebeneffekt von 500 plus lässt sich bereits auf dem Arbeitsmarkt beobachten. Der Leiter des Arbeitsamts, erzählt Kowalik-Wirowska, habe sich bei ihr beklagt, dass es schwieriger geworden sei, Frauen zu Bewerbungen und Stellenannahmen zu motivieren. „Welche Frau würde es nicht vorziehen, zu Hause bei den Kindern zu bleiben, wenn das Geld reicht?“, fragt sie.

Der Geldsegen für die Stadt Mińsk Mazowiecki, in der nach der Umstellung von der Plan- zur Marktwirtschaft die meisten Betriebe eingegangen sind, ist bereits wenige Schritte vom Sozialamt entfernt zu sehen. Mitten an der Hauptstraße erhält gerade eine neue Kinderkrippe den letzten Schliff. Dazu stechen gleich mehrere Einkaufszentren sowie separate Spielwarengeschäfte ins Auge.

Nur ein einziger Teddybär steht dagegen auf dem Bücherregal im Büro der Leiterin des Krippenverbands der Stadt Warschau. Die engagierte Managerin hat andere Sorgen: Seit dem Ende der Sommerferien fehlen ihr 80 Kleinkinderbetreuerinnen. Den Grund sieht sie in den tiefen staatlichen Löhnen – und bei 500 plus. Die Betreuerinnen bleiben lieber bei ihren eigenen Kindern zu Hause.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2016)

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