1800 Seiten Vertragsdickicht zu Handel und Investitionen

Ein Überblick zu den wichtigsten Inhalten des ausverhandelten
Vertrags zwischen der Europäischen Union und Kanada.

Das Comprehensive Economic and Trade Agreement (Ceta) zwischen der EU und Kanada sorgt in Österreich, aber auch in Deutschland für Proteste und Kritik – auch weil es als Blaupause für das Abkommen mit den USA (TTIP) gilt. Der Vertragstext wurde seit 2009 verhandelt und ist 2014 fertiggestellt worden. Wie bei internationalen Handelsverträgen üblich, war zuvor der EU-Kommission von allen Mitgliedstaaten ein Mandat erteilt worden, die Gespräche mit der kanadischen Regierung zu führen. Dieses Mandat wurde 2011 nochmals nachgebessert und forderte einen moderneren Investorenschutz mit einer Abkehr von privaten Schiedsgerichten. Das Ceta-Abkommen umfasst 1796 Seiten. Die „Presse“ fasst hier die wichtigsten Punkte zusammen.

Waren

Mit Ceta werden die meisten Zölle und Handelsbeschränkungen zwischen der EU und Kanada beseitigt. Nach einer Übergangsfrist von sieben Jahren werden 98,6 Prozent der kanadischen Zolltarife und 98,7 Prozent der EU-Zolltarife abgeschafft sein. Bei Industrieprodukten sind es sogar 100 Prozent. Bisher hob Kanada Zölle unter anderem auf Schiffe, aber beispielsweise auch auf Fisch ein. Außerdem werden durch das Abkommen Handelshemmnisse etwa durch unterschiedliche Normen großteils aufgehoben. Prüfverfahren sollen gegenseitig anerkannt werden. Ursprungsregeln sollen sicherstellen, dass keine Waren aus Drittländern über das bilaterale Abkommen erleichterten Zugang zu den beiden Märkten erhalten.
Sowohl Kanada als auch die EU werden das Schutzniveau bei Gesundheit und Umwelt des Partners achten. Es dürfen also keine kanadischen Produkte in EU-Mitgliedstaaten verkauft werden, die nicht den europäischen Rechtsvorschriften entsprechen und umgekehrt. Allerdings soll gegenseitig das Zulassungsverfahren neuer Waren beschleunigt werden. Bei der Herstellung der Produkte verpflichten sich beide Seiten, die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO (z. B. Recht auf Kollektivverträge) einzuhalten. Kritiker weisen daraufhin, dass bei einem Verstoß gegen solche sozialen Normen kein Sanktionsmechanismus vorgesehen ist.

Landwirtschaft

Zölle für landwirtschaftliche Produkte werden beseitigt, nicht aber alle Mengenbeschränkungen. So wird es für sensible Erzeugnisse wie Fleisch jährliche zollfreie Kontingente geben. Beispielsweise darf Kanada pro Jahr 45.838 Tonnen Rindfleisch in die EU liefern, das entspricht 0,6 Prozent des Gesamtverbrauchs in der Europäischen Union. Für Milchprodukte, die nach Kanada geliefert werden, gibt es ebenfalls Maximalmengen. Die EU sieht solche Beschränkungen im Milchsektor nicht vor. Hühner- und Truthahnfleisch sowie Eier sind von der Marktöffnung gänzlich ausgenommen. Hier ist mit keiner zusätzlichen Konkurrenz durch Kanada zu rechnen. Um einen fairen Wettbewerb nicht zu stören, darf die EU bei den zollfreien Kontingenten keine Ausfuhrsubventionen erstatten. Die EU dürfte besonders von der Ausfuhr von verarbeiteten Agrarprodukten wie Wein, Spirituosen, alkoholfreien Getränken, Süß- und Teigwaren profitieren. Kanada setzt vor allem auf einen erleichterten Zugang bei Rindfleisch. Wobei Kanada das in der EU geltende Verbot von hormonbehandeltem Fleisch beachten muss. Weiters könnte Kanada von einem besseren Zugang seiner Fischprodukte profitieren. Kanadische Lieferanten müssen die in der EU und den Mitgliedstaaten geltenden Regeln – etwa Einschränkungen bei gentechnisch veränderten Produkten – beachten. Kanada hat sich zudem verpflichtet, traditionelle regionale Erzeugnisse wie Roquefort, Tiroler Speck und Steirisches Kürbiskernöl ebenfalls zu achten. Es darf also keine Produkte mit einer solchen Bezeichnung herstellen. Kritiker führen an, dass Ceta nicht alle 1400 in der EU geschützten Herkunftsbezeichnungen übernimmt, sondern nur eine Auswahl. Ceta enthält keine Verpflichtung, das in Europa übliche Subventionssystem für die Landwirtschaft zu ändern oder abzuschaffen.

Dienstleistungen

Ceta öffnet die kanadischen und europäischen Märkte für grenzüberschreitende Dienstleistungen. Dies betrifft beispielsweise den erleichterten Zugang von europäischen Architekten zu kanadischen Aufträgen, es betrifft aber vor allem die Kernbereiche Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, Energie und Seeverkehr. Um das zu gewährleisten, werden berufliche Qualifikationen gegenseitig anerkannt. Es gibt Erleichterungen für die vorübergehende Einreise und Erbringung von ortsgebundenen Dienstleistungen. So erhalten beispielsweise Freiberufler, die Dienstleistungen erbringen, die Erlaubnis zum Aufenthalt von bis zu zwölf Monaten. Vorteile werden etwa für große europäische Telekommunikationsbetriebe erwartet, die auf kanadischem Gebiet Fuß fassen wollen.
Betroffen sind auch öffentliche Dienstleistungen. Ceta enthält keine Verpflichtung zur Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen wie der Wasserversorgung. Teilnehmende Staaten oder Kommunen können Privatisierungsentscheidungen bei sensiblen öffentlichen Dienstleistungen auch nach Belieben rückgängig machen, ohne deswegen rechtliche Probleme zu bekommen. Wo es aber Ausschreibungen für öffentliche Dienstleistungen gibt, sollen diese auch grenzüberschreitend angeboten werden können. Kritiker weisen darauf hin, dass Leistungen der sogenannten Daseinsvorsorge nicht komplett ausgenommen wurden. So gebe es etwa für die Abfallwirtschaft oder den gemeinnützigen Wohnbau kaum Beschränkungen.

Investorenschutz

Ceta soll Investitionen europäischer Unternehmen in Kanada erleichtern und umgekehrt auch kanadischen Investoren den Zugang zum europäischen Markt öffnen. Kernpunkt dieses Teils ist die Gleichbehandlung von in- und ausländischen Investoren. Um die Rechtssicherheit von Investoren zu stärken, enthält das Abkommen Sonderklagerechte für Unternehmen. Fühlt sich ein Betrieb oder Konzern durch das Gastland, in dem er Investitionen getätigt hat, diskriminiert, kann er vor einem Schiedsgericht Schadenersatz einfordern. Der Kläger kann keine Änderung eines Gesetzes erzwingen, sondern nur eine Kompensation einfordern, wenn er sich von diesen negativ betroffen fühlt. Im Gegensatz zu ähnlichen Klagemöglichkeiten in bisherigen Handels- und Investitionsabkommen fallen die Entscheidungen im Rahmen von Ceta aber nicht bei privaten Schiedsgerichten, sondern durch ein gemeinsames Gericht, dessen Richter von beiden Vertragspartnern (EU und Kanada) nominiert werden. Die Verhandlungen finden auch nicht hinter verschlossen Türen, sondern öffentlich statt. Zudem wurden explizite Einschränkungen vorgesehen, um die Gefahren eines Missbrauch oder der Unterwanderung der nationalen Gesetzgebung zu minimieren. So wird darauf hingewiesen, dass Staaten weiterhin die gesetzlichen Möglichkeiten haben, soziale Verbesserungen und höhere Umweltstandards durchzusetzen, selbst wenn dadurch Gewinne von Investoren reduziert würden. Um den Spielraum der Gerichte einzuschränken, wurden auch Standards für den Umgang mit Investoren festgeschrieben. So dürfen Investoren keinenfalls aufgrund ihres Geschlechts, ihrer religiösen Überzeugung oder Rasse diskriminiert werden. Es gibt darin aber auch sehr allgemeine Formulierungen wie das Verbot von Schikanen und einer offenkundigen Willkür gegen Investoren. Kritiker bemängeln deshalb, dass der Spielraum der Schiedsgerichte noch immer zu groß sei und dass die Richter bei ihren Entscheidungen nicht auf das jeweils gültige nationale Recht Rücksicht nehmen müssten.

Beschaffung

Ceta bringt für beide Seiten die Möglichkeit, sich an Ausschreibungen für die öffentliche Beschaffung zu beteiligen. Das heißt, kanadische Unternehmen können beispielsweise Spitalbedarf an lokale Krankenhäuser in der EU liefern, europäische Firmen können Büromöbel für die Verwaltung kanadischer Provinzverwaltungen anbieten. Es wird dafür ein eigenes Webportal geschaffen, über das Ausschreibungen in Kanada und in der EU angekündigt werden. Einschränkungen gibt es von kanadischer Seite bei der Energieversorgung und im öffentlichen Nahverkehr.

Regelangleichung

Das Abkommen enthält eine Vereinbarung über eine künftige Zusammenarbeit der Regelungsbehörden. Das heißt, die Gesetzgeber beider Seiten beraten regelmäßig über geplante Änderungen oder die Neuschaffung von Standards und versuchen dabei, eine Angleichung zu erreichen. Kritiker sehen darin ein Instrument, mit dem Kanada schon vorab in die Gesetzgebung der EU und jener der Nationalstaaten Einfluss nehmen kann. Für die sogenannte regulatorische Zusammenarbeit wird ein eigenes Forum installiert. Vorgesehen ist, dass die Regierungsvertreter in diesem Forum „freiwillig“ Informationen austauschen und Bereiche nennen, in denen eine künftige Angleichung vorteilhaft wäre. Ausdrücklich wird darauf verwiesen, dass die Entscheidungsbefugnis der nationalen Behörden und der EU-Ebene dadurch nicht eingeschränkt wird. Es besteht allerdings die Befürchtung, dass dieses Forum von Lobbyisten genutzt wird, um ihre Interessen schon vor einem Gesetzgebungsprozess einzubringen. Die EU und Kanada haben darüber hinaus auch eine Zusammenarbeit der zuständigen Normengremien vereinbart.

Geistiges Eigentum

Die EU und Kanada haben ihre Regelungen zum geistigen Eigentum durch das Abkommen weitgehend angeglichen. Kanada stimmte unter anderem einem besseren Schutzniveau für europäische Künstler zu. Dies betrifft etwa Vergütungen für die Wiedergabe von Musikbeiträgen in Rundfunksendungen, aber auch deren Recht, die Ausstrahlung zu erlauben oder zu verbieten. Insbesondere sieht das Abkommen Bestimmungen zum geistigen Eigentum für Arzneimittel vor. So erhalten beispielsweise europäische Patentinhaber ein Einspruchsrecht bei Zulassungsentscheidungen in Kanada. Beide Seiten verpflichten sich zum Schutz von Markennamen und urheberrechtlich geschützten Waren.

Das Abkommen kann zur Gänze über die EU-Homepage abgerufen werden: http://ec.europa.eu/trade/policy/

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