Geschichte und Migration verbinden Europa und Kanada

Kanadische Mounties bei einer Parade zum Besuch des französischen Premiers Manuel Valls
Kanadische Mounties bei einer Parade zum Besuch des französischen Premiers Manuel VallsAPA/AFP/LARS HAGBERG
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Die Partnerschaft umfasst mehr als den Handel – etwa gemeinsame Werte und politische Partnerschaften. Es ist eine Freundschaft, die oft im Geheimen blüht

Kanada ist einer der engsten Verbündeten Europas. Dass ein Abkommen wie der geplante Freihandelsvertrag Ceta selbst nach den Änderungen und Ergänzungen derartigen Widerstand hervorruft, ist angesichts der langen gemeinsamen Geschichte beider Seiten erstaunlich. „Wenige Partner haben so viel gemeinsam wie die Europäische Union und Kanada“, beschreibt die EU das Verhältnis zum nordamerikanischen Land. Es ist eine Partnerschaft, die auf Geschichte basiert, durch Immigration verstärkt und in gemeinsamen Initiativen getestet wurde.

Das Jahr 2016 ist für die EU und Kanada Gelegenheit, diese Partnerschaft zu feiern. Vor 40 Jahren, am 19. Februar 1976, eröffnete die EU ihre erste Botschaft – in Ottawa. Francois-Xavier Ortoli, Präsident der Europäischen Kommission, reiste zur Eröffnung nach Ottawa und traf in der kanadischen Hauptstadt auch den damaligen Premierminister – Pierre Trudeau, Vater des heutigen Regierungschefs Justin Trudeau. 1976 trat zudem das erste Rahmenabkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kanada und der EU in Kraft, ebenfalls maßgeblich vorangetrieben von Pierre Trudeau, wie EU-Botschafterin Marie-Anne Coninsx im Februar 2016 bei einer Feier in Ottawa anmerkte.

Nun soll eine neue Phase der Beziehungen eingeläutet werden. Dafür soll nicht nur das Comprehensive Economic and Trade Agreement (Ceta) stehen, sondern auch eine Vereinbarung zur Strategischen Partnerschaft, die parallel ausgehandelt wurde. Während Ceta den Handel regelt, ist das 20-seitige Abkommen über eine Strategische Partnerschaft ein Rahmenabkommen, das grundsätzliche Aussagen zur Zusammenarbeit macht – zu multilateraler Zusammenarbeit, zu Waffenkontrolle und Zusammenarbeit im Kampf gegen Terrorismus, zu nachhaltiger Entwicklung und Kooperation in Wissenschaft und Forschung sowie in der Kulturarbeit und vielen anderen Bereichen.

Europa ähnlicher als die USA

Die EU hat mit mehreren Staaten derartige Partnerschaftsabkommen geschlossen, unter allen Partnern aber sei „Kanada zweifellos einer der engsten“ und einer, mit dem die EU in engster Geistesverwandtschaft stehe. Kanada gehört zu den Ländern, die die EU als „like-minded“, als gleichgesinnt, bezeichnet, was sich bei Abstimmungen in den Vereinten Nationen oder gemeinsamen Initiativen wie dem Vertrag gegen Landminen oder die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs zeigte.

Kanada ist Gründungsmitglied der UN und der Nato und Mitglied der OSZE. Es ist Partner in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union und an mehreren EU-Polizeimissionen beteiligt, etwa im palästinensischen Territorium, in der Ukraine oder im Kosovo.

Kanadas Geschichte wurde über Jahrhunderte geprägt durch Großbritannien und Frankreich, die um die Vorherrschaft auf dem amerikanischen Kontinent kämpften. Zu seinen europäischen Gründernationen pflegte Kanada stets enge Beziehungen. Im kommenden Jahr feiert Kanada den 150. Geburtstag seiner Staatsgründung, die am 1. Juli 1867 mit dem Inkrafttreten der British-Nordamerika-Akte erfolgte. Kanada wird als das „europäischere“ der beiden nordamerikanischen Länder gesehen. Das gilt für viele Bereiche seiner Politik, für das Parteiensystem, das mit Liberalen, Konservativen, Sozialdemokraten und sogar Grünen dem europäischen ähnlicher ist als dem US-amerikanischen, seine Sozialpolitik – etwa in Form eines staatlichen Gesundheitswesens –, für die im Vergleich zu den USA strengere Waffengesetzgebung oder die Ablehnung der Todesstrafe. Immer wieder werden die gemeinsamen Werte betont – die Ausrichtung an Menschenrechten, Freiheitsrechten, Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Und Kanada war vor allem nach den beiden Weltkriegen Ziel der Auswanderung vieler Millionen Europäer, darunter vieler Deutschen und Österreicher.

Vergessene Partnerschaft

Angesichts der jahrzehntelangen engen Zusammenarbeit ist es verwunderlich, wie wenig Aufmerksamkeit dieser Partnerschaft über viele Jahre hinweg geschenkt wurde. Es war eine Freundschaft, die im Geheimen blühte, verdrängt von den europäisch-US-amerikanischen Beziehungen. Kanada war oft nicht auf dem Radarschirm der Europäer. Von der „vergessenen transatlantischen Partnerschaft“ und „wohlwollender Vernachlässigung“ war dann auf kanadischer Seite die Rede. Erst in jüngster Zeit erkannten die Europäer etwa die Bedeutung, die Kanada in der Energie- und Rohstoffpolitik haben kann. Europa, so klagte noch vor wenigen Jahren David Long, Politikprofessor in Ottawa, „pflegt noch immer die koloniale Sichtweise von Kanada als Land der Holzfäller“. Selbst Ceta, das jetzt so viel Aufsehen erregt, wurde jahrelang kaum beachtet und erst dann genauer betrachtet, als deutlich wurde, dass es eine Vorlage für das Handelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA sein könnte.

Es ist fast 20 Jahre her, dass der damalige deutsche Außenminister Klaus Kinkel bei einem Besuch in Kanada anmerkte, es gebe ein Problem in den Beziehungen: Sie seien „zu normal, zu selbstverständlich“. Es gab zu selten Reibungspunkte, die Engagement und Interesse hervorgerufen hätten: Vielleicht der Streit um die Robbenjagd, der kritikwürdige und inzwischen beendete Asbestexport Kanadas, ein paar Irritationen bei Handel und Agrarsubventionen, oder – etwas tiefergehend und den Ruf Kanadas schädigend – der Ausstieg der früheren konservativen Regierung aus dem Kyoto-Protokoll. Ceta, so umstritten es in einigen EU-Ländern ist, könnte dazu beitragen, das Bewusstsein für die kanadisch-europäischen Beziehungen wieder zu schärfen.

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