„Ist uns Kanada nicht gut genug?“

WKO-Vizepräsident Jürgen Roth
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Pro. Österreichs Wohlstand hängt am Freihandel, sagt WKO-Vizechef Jürgen Roth. Sorgen vor dem Pakt mit Kanada hält er für unbegründet. Die Gegner würden nur Ängste schüren.

Die Presse: Die Sorgen vor Ceta, dem Freihandelsabkommen mit Kanada, sind groß: Kritiker warnen vor Klagewellen gegen Europas Staaten, Privatisierungen, sinkenden Umweltstandards und dem Ende der Demokratie. Berechtigte Kritik oder reiner Alarmismus?

Jürgen Roth: Die Gegner produzieren Ängste. Die Menschen mussten die Finanz- und Bankenkrise verdauen, den Klimawandel, die neuen Entwicklungen in der IT-Branche. Viele Leute haben Angst vor diesen radikalen Entwicklungen, sind aber zu wenig informiert, als dass sie diese Angst verlieren könnten. Die Warnungen vor Ceta sind leicht zu entkräften. 90 Prozent dessen, was Sie aufgezählt haben, kann einfach nicht passieren. Die EU-Staaten können weiter selbst regulieren, ihre öffentlichen Dienstleistungen schützen, Privatisierungen sogar rückgängig machen, und auch alle geltenden Arbeits- und Umweltschutzstandards müssen eingehalten werden.

Und die verbleibenden zehn Prozent?

Es gibt ein Restrisiko in den Köpfen der Menschen, und das sind die Schiedsgerichte. Wobei man auch hier die Kirche im Dorf lassen muss. Erstens sind derartige Schiedsgerichte nichts Neues. Österreich hat 60 derartige Abkommen. Zweitens sind sie von der vorläufigen Anwendung ausgenommen. Und drittens können Konzerne dort auch nicht alles einklagen, was die Gegner immer behaupten.

Gewarnt wird etwa davor, dass Unternehmen klagen könnten, wenn Staaten strengere Umweltschutzbestimmungen erlassen und den Firmen dadurch Gewinn entgeht. Beispiel ist oft Kanada, das nach dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta zum meistverklagten Staat der Welt wurde.

Das ist in meinen Augen eine komplett falsche Darstellung dessen, was ein Schiedsgericht kann, darf und soll. Natürlich gibt es Fälle, in denen Unternehmen versuchen, alles Mögliche einzuklagen. Aber die werden oft nicht einmal zum Verfahren zugelassen. Die Versuche des Tabakkonzerns Philipp Morris, Staaten zu klagen, die etwa Rauchverbote erlassen haben, sind allesamt gescheitert. Wenn man ehrlich ist, können Unternehmen vor einem Schiedsgericht nur Fälle einklagen, in denen es um Diskriminierung gegenüber einheimischen Firmen geht.

Also etwa dann, wenn diese Staaten inländische Zigaretten erlauben, ausländische aber verbieten würden?

Genau. Und das ist relevanter, als man denkt. In den USA gibt es etwa den Buy-American-Act. Dort ist die Gefahr, als ausländisches Unternehmen diskriminiert zu werden, am größten. Vor nationalen Gerichten können Firmen das aber nicht anfechten, da die Bevorzugung der Amerikaner teils in Gesetzen niedergeschrieben ist. Darum braucht es Schiedsgerichte. Der große Vorteil bei Ceta: Diesmal werden die Richter vorab von den beteiligten Staaten bestellt. Früher konnten sich die Streitparteien einfach einen Anwalt aussuchen, der das übernimmt.

Wie erklären Sie sich denn die heftige Kritik an Ceta? Bisher haben die Handelsabkommen der EU kaum interessiert.

Meiner Meinung nach wäre der Aufschrei bei Ceta auch nicht so groß gewesen, wenn nicht TTIP und Amerika im Hintergrund wären. Denn es geht nicht um Kanada, nicht um den Freihandel, sondern um Amerika, den idealen Feind aller Globalisierungsgegner. Da ist es ein Leichtes, Bilder von Chlorhühnern zu plakatieren und damit Panik zu machen. Der Pakt mit Kanada ist einer der modernsten, den wir je geschlossen haben. Es gibt kein Land außerhalb Europas, das uns ähnlicher ist als Kanada. Die Umweltstandards sind teilweise sogar höher. Da frage ich mich schon, ist uns Kanada wirklich nicht gut genug?

Dennoch hat auch der deutsche Verfassungsgerichtshof Ceta keinen Persilschein ausgestellt. Die Richter hatten offenbar demokratiepolitische Bedenken.

Natürlich musste sich der Verfassungsgerichtshof mit dem Thema beschäftigen, wenn eine rechtliche Frage an ihn herangetragen wird. Das ist auch gut und in Ordnung so. Ein Problem haben wir dann, wenn Dinge behauptet werden, die schlichtweg falsch sind. So glauben etwa viele, dass Freihandel an sich die Schere zwischen Arm und Reich öffnet. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade wir Österreicher sollten wissen, wie es sich auf das soziale Gefüge auswirkt, wenn man zu den Gewinnern der Globalisierung zählt. Ohne den Schritt nach außen hätte auch der heimische Sozialstaat sehr gelitten.

Was wären die Folgen, wenn der Handelspakt mit Kanada nicht zustande käme?

Im Moment erwirtschaftet Österreich 131 Milliarden Euro mit dem Export seiner Waren in die ganze Welt. Jedes zweite Produkt, das wir hier herstellen, wird im Ausland verkauft. Wir verdienen sechs von zehn Euro im Ausland. Hätte Österreich seit 1990 nicht an der Globalisierung teilgenommen, wäre das Volkseinkommen um 7,3 Milliarden Euro geringer. Das BIP pro Kopf wären nicht 40.000 Euro, sondern nur noch 34.000 Euro im Jahr. Ohne internationalen Handel müssten 41.000 heimische Klein- und Mittelbetriebe sofort zusperren.

Ökonomen sagen, Ceta bringe vergleichsweise wenig.

Das Freihandelsabkommen mit Kanada ist ein kleiner Puzzlestein in einem ganzen Mosaik. Natürlich bringt der Deal mit einem 35 Millionen Menschen großen Markt keinen zweistelligen BIP-Zuwachs. Wichtiger ist die Signalwirkung. Wenn sich Europa als Globalisierungsgegner positioniert, sind wir kein glaubwürdiger Verhandlungspartner mehr. Für einen Kontinent mit nur sieben Prozent der Weltbevölkerung ist das ein Problem.

Verkauft die Europäische Union also für ein bisschen Wachstum ihre Standards, wie Gegner meinen?

Nein. Nehmen wir das Beispiel Chlorhuhn. Die Amerikaner waschen ihre Hühner mit Chlorwasser, das wollen wir nicht. Wir füttern den Tieren dafür Antibiotika. Das wollen die USA nicht. Es gibt also keine Äquivalenz, keine Übereinstimmung, und diese Produkte dürfen nicht auf dem jeweils anderen Markt verkauft werden. Alles, was ein Europäer in der EU nicht verkaufen darf, darf auch der Kanadier oder Amerikaner nicht.

Geltende Standards können also nicht unterwandert werden?

Nein, außer die Europäer entscheiden sich explizit dafür.

Kritik gab es auch daran, wie der Vertrag zustande gekommen ist. Gegner sprechen von Geheimverhandlungen hinter dem Rücken der Öffentlichkeit. Tatsächlich gab es lang kaum Informationen, was den Raum für Spekulationen weit geöffnet hat. War das ein Fehler?

Eines haben wir aus Ceta und TTIP sicher gelernt: Die bisherige Vorgehensweise war zu intransparent. Die EU-Kommission hat zwar rasch auf die Kritik reagiert und viele Informationen öffentlich zugänglich gemacht. Aber irgendwo muss die Transparenz natürlich ein Ende haben, solange man in laufenden Verhandlungen steckt. Schließlich kann eine Partei ja immer nur ihren eigenen Verhandlungsstand öffentlich machen. Das ist allerdings verhandlungstaktisch in den meisten Fällen nicht klug. Ließen wir uns etwa in die Karten schauen, würde das die europäische Position schwächen.

Zur Person

Jürgen Roth (geboren 1973) ist seit dem Vorjahr Vizepräsident der Wirtschaftskammer Österreich. Der studierte Betriebswirt ist seit knapp zwanzig Jahren im familieneigenen Energiehandel tätig.

Roth Heizöle wurde 1972 von Rudolf und Hans Roth gegründet und stieg zum größten Mineralölhändler Österreichs auf. 2004 stieg die ungarische MOL ein. 2015 kaufte die Roth-Familienstiftung 23 Roth- und MOL-Tankstellen und ist so wieder zurück im Tankgeschäft. An der Unternehmensspitze steht Jürgen Roth, Sohn des Firmengründers Rudolf Roth. [ APA]

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