Reiches Land sucht engen Partner

Die Skyline von Toronto
Die Skyline von TorontoREUTERS
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Kanada hat Rohstoffe und ein solides Bankensystem. Ceta könnte die Abhängigkeit von den USA etwas mildern.

Kanada gilt als reiches, wirtschaftlich gesundes Land. Es hat Rohstoffe, die Europa braucht, ein Bankensystem, das besser als das vieler anderer Industriestaaten die Finanzkrise 2008 überstand, und öffentliche Finanzen, die trotz eines Defizits unter Kontrolle sind. Nun sucht das G7-Land Kanada die engere wirtschaftliche Partnerschaft mit Europa. Das Freihandelsabkommen Ceta soll der Motor sein.

Zusätzlicher Schwung würde Kanadas Wirtschaft guttun. Vorerst ist Kanada darauf angewiesen, dass Notenbank und Politik das ihnen Mögliche tun, um die Konjunktur zu stützen. Im Wahlkampf vor einem Jahr war Justin Trudeau das Risiko eingegangen, ein Zehn-Milliarden-Budgetdefizit zur Stützung der Konjunktur in Kauf zu nehmen. Die geplante Abkehr vom Austeritätskurs honorierten die Wähler, indem sie Trudeaus Liberalen die absolute Mehrheit im Parlament bescherten. Das Haushaltsdefizit ist nun mit rund 30 Milliarden Dollar noch größer, denn das Kindergeld wurde deutlich aufgestockt und die Steuerlast für mittlere Einkommen gesenkt. Kanada kann sich das leisten. Die Liberalen hatten Mitte der 1990er-Jahre den Etat ausgeglichen und die Staatsverschuldung deutlich reduziert, der konservative Regierungschef Stephen Harper hatte dies zunächst fortgesetzt, dann aber mit einem Milliardendefizit zur Ankurbelung der Wirtschaft auf die Finanzkrise 2008/2009 reagiert. Erst 2015 legte Harper wieder einen ausgeglichenen Etat vor. Trudeau verteidigt seinen Kurs. „Wir wissen, dass Investitionen in Infrastruktur, in Wohnungsbau, besseren öffentlichen Verkehr und grüne Infrastruktur kurz- und mittelfristig Arbeitsplätze schaffen, aber auch zu größerer Produktivität, größerem Wirtschaftswachstum führen“, sagte er dieser Tage.

Prognosen zurückgefahren

Aber just am gleichen Tag musste Stephen Poloz, Gouverneur der Bank of Canada, seine Wachstumsprognosen für dieses und kommendes Jahr erneut zurückfahren. Nun wird ein Wachstum von nur noch 1,1 Prozent heuer und zwei Prozent nächstes Jahr erwartet. Kein Wunder, dass die Bank of Canada daher den Leitzins bei 0,5 Prozent belassen hat, wo er seit Juli 2015 steht. Die Inflationsrate liegt derzeit bei 1,1 Prozent und die Arbeitslosenquote bei sieben Prozent.

Die Notenbank rechnet aber damit, dass bereits im zweiten Halbjahr 2016 die Konjunktur anzieht und die Geldpolitik der Zentralbank und die Haushaltsentscheidungen der Regierung wirken. Poloz weist immer wieder auf einen wichtigen Faktor hin, der Kanadas Wirtschaft beeinflusst: die niedrigen Rohstoffpreise, vor allem der niedrige Ölpreis. „Die Wirtschaft passt sich an den Ölpreisschock an, die Investitionen im Energiesektor scheinen die Talsohle erreicht zu haben“, sagt er. Ein hoher Ölpreis bedeutete Investitionen in Kanadas Ölindustrie. Das Abfallen des Ölpreises spüren vor allem Ölprovinzen wie Alberta, Saskatchewan und Neufundland. Dort gingen Tausende Arbeitsplätze verloren, die Haushaltsdefizite werden wegen des Ausfalls an Förderabgaben und Steuern immer größer. Der kanadische Dollar, der Mitte 2013 Parität mit dem US-Dollar hatte, steht jetzt bei 75 bis 80 US-Cents. Auch hier spielt der Verfall der Rohstoffpreise eine Rolle.

Aber die Exporte ziehen wieder etwas an, auch dank des Dollarkurses, allerdings wird auf mehr Nachfrage aus den USA gewartet. Kanadas Verbraucher sind ausgabefreudig. Eine große Stütze war bisher der Wohnungsbau. Da die Regierung aber die Aufnahme von Hypotheken erschwert hat, um den Immobilienmarkt in Zentren wie Vancouver und Toronto etwas abzukühlen und eine noch größere Überschuldung kanadischer Privathaushalte zu verhindern, wird diese Wachstumslokomotive bald langsamer fahren.

Bay Street in Toronto ist das Finanzzentrum Kanadas. Hier haben die Großbanken und Versicherungen ihre Zentralen. Die sechs Großbanken Kanadas waren mit einer im internationalen Vergleich besseren Kapitaldecke in die Finanzkrise 2008 gegangen und haben diese gut überstanden. Hier im Zentrum Torontos ist auch die Börse, die Toronto Stock Exchange, beheimatet. An der Toronto Stock Exchange (TSX) sind knapp 1500 Unternehmen gelistet, an der Juniorbörse, der TSX Venture Exchange, knapp unter 1800. Die TSX ist weltweit die rohstofflastigste Börse. Rund 1300 Bergbauunternehmen sind hier börsenotiert, darunter mehr als 800 kanadische Unternehmen. Kanada hat mehr zu bieten als Öl und Erdgas. Es verfügt über reiche Vorkommen an Metallen wie Zink und Nickel, über gewaltige Eisenerzlager, Kali- und Uranressourcen, es hat Gold und Diamanten. Die EU hat 14 Rohstoffe als „versorgungskritisch“ eingestuft. Das sind Rohstoffe, die besondere Bedeutung für die Wirtschaft haben, aber in der EU kaum verfügbar sind. Kanada hat fast alle diese Rohstoffe, darunter die Seltenen Erden für die Hightech-Industrie.

Kanada fürchtet Standard-Aushöhlung

Mit dem Regierungswechsel in Ottawa erbte Trudeau das unter Harper ausgehandelte Vertragswerk Ceta. Schnell verstand er, dass das hinter verschlossenen Türen ausgehandelte Dokument in seiner damaligen Form keine Chance hatte. Auch in Kanada wuchsen Befürchtungen, dass es nationale Standards bei Umwelt- und Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechten aushöhlen, die Fähigkeit von Regierungen, gesetzliche Regelungen zu erlassen, unterminieren und internationalen Konzernen über private Schiedsgerichte den Weg zu Milliardenklagen gegen Staaten bahnen könnte. Es war aber vor allem Druck aus Europa, der bewirkte, dass an Ceta noch Änderungen vorgenommen wurden, und als das nicht genügte, eine Zusatzerklärung ausgehandelt wurde.

Für Kanada würde eine erfolgreiche, engere Kooperation mit Europa bedeuten, dass die Abhängigkeit von den USA etwas gemindert würde. Weiterhin gehen 70 bis 80 Prozent der kanadischen Exporte in die USA. Und wenn dort eine Flaute herrscht, dann spürt das Kanada sehr stark. Ceta soll den Handel mit Gütern und Dienstleistungen zwischen Kanada und den EU-Mitgliedstaaten stärken. Zwar ist Kanada ein riesiges Land, es hat aber nur 35 Millionen Einwohner. Mit Ceta bekäme es Zugang zu einem Markt mit 500 Millionen Bürgern. Die EU ist für Kanada nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner.

Der bilaterale Handel mit Gütern belief sich 2014 auf 59,9 Mrd. Euro. Maschinen, Transport (Flugzeuge) und Chemikalien sind die wichtigsten Güter für beide Seiten. Der Handel mit Dienstleistungen entspricht etwa 27,2 Mrd. Euro. Auch bei den Investitionen sind EU und Kanada wichtige Partner. Europa ist der zweitgrößte Investor in Kanada mit einem Anteil von 26,3 Prozent an ausländischen Investitionen, umgekehrt liegt der kanadische Anteil an Investitionen in der EU bei 4,3 Prozent, womit Kanada der viertgrößte Investor im EU-Raum ist.

Ceta soll die regulatorische Kooperation, die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt und die Anerkennung von Diplomen und Abschlüssen fördern. Knackpunkte waren das Patentrecht für Pharmaprodukte und die Öffnung der öffentlichen Ausschreibung für Unternehmen des jeweiligen Partners. Käse und Fleisch waren bis zuletzt heftig umstritten. Die Kanadier wollten ihre Milchwirtschaft schützen, die EU ihre Fleischproduzenten und zudem sicherstellen, dass nur hormonfreies Fleisch in die EU exportiert wird. Kanada stimmte einer Steigerung der Käseeinfuhren aus der EU von 13.000 auf 29.000 Tonnen zu.

Im Gegenzug darf Kanada 65.000 Tonnen Rindfleisch (statt bisher 15.000) und 80.000 Tonnen Schweinefleisch (statt 6000) in die EU liefern. Die Aufstockung der Rindfleischmenge war notwendig, um den Farmern in Kanada einen Anreiz zu geben, auf hormonfreies Fleisch umzustellen. Durch Zollabbau und Regelungen über die Herkunft von Produkten soll die kanadische Automobilindustrie besseren Zugang zum EU-Markt haben. Kanada hat eine bedeutende Autoteileindustrie. Die Provinz Ontario ist wichtiger Autoproduzent.

Von Ceta versprechen sich beide Seiten durch den Abbau der Zollbarrieren einen Schub von rund 20 Mrd. Euro für ihre Volkswirtschaften. Der Abbau von Zöllen und nicht tarifären Barrieren könnte für Kanada einen Zugewinn von 8,2 Mrd. Euro bringen, ergab eine Studie der Wirtschaftsverbände beider Länder. Eine unabhängige Bestätigung hierfür gibt es nicht. Für Ceta-Gegner in Kanada sind diese Zahlen über Wachstum und Arbeitsplätze Fantasien. Statt Schaffung fürchten sie den Verlust von Arbeitsplätzen.

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