Donald Trump, Held der zornigen, ängstlichen Weißen

(c) REUTERS (CARLO ALLEGRI)
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Der politische Aufstieg des populistischen Unternehmers illustriert den Klassenkonflikt in Amerika zwischen urbanen Kosmopoliten an den Küsten und einer ländlichen, konservativen, weißen Mittelschicht, die sich kulturell und wirtschaftlich abgehängt fühlt.

Eine Hillary-Clinton-Puppe am Galgen. Ein selbst gebastelter Hillary-Clinton-Kopf auf einem Spieß. Wutentbrannte „Sperrt sie ein!“-Sprechchöre auf jeder Kundgebung von Donald Trump, dem republikanischen Gegner Clintons. Vizepräsident Joe Biden und Trump, die sich aus der Ferne gegenseitig zu einer Schulhofschlägerei auffordern. Ein entfesselter rechtsextremer Internetmob, der sich digital für Trump ins Zeug legt und jüdische Journalisten via Photoshop in die Gaskammern von Auschwitz schickt.

So ging der vermutlich hässlichste Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft in die Schlussrunde. Er spielt sich in einer Gesellschaft ab, die weltanschaulich und politisch außerordentlich entzweit ist. Vor Kurzem stellten die Brookings Institution und das Public Religion Research Institute (PRRI), zwei Washingtoner Ideenschmieden, die Ergebnisse ihrer heurigen American Values Survey vor, einer jährlichen Befragung von mehr als 2000 Amerikanern.

Liest man diesen 48-seitigen Bericht, könnte man glauben, hier würden zwei völlig verschiedene Länder beschrieben. 72 Prozent der Anhänger Trumps finden, Amerikas Gesellschaft und Lebensweise hätten sich seit den Fünfzigerjahren zum Schlechteren entwickelt. 70 Prozent der Clinton-Wähler meinen das Gegenteil. 73 Prozent aller Republikaner bejahen die Aussage: „Die wachsende Zahl an Neuankömmlingen aus anderen Ländern bedroht traditionelle amerikanische Gewohnheiten und Werte.“ 63 Prozent der Demokraten verneinen das. Einem autoritären Führer könnten 55 Prozent der Republikaner etwas abgewinnen, während 57 Prozent die Behauptung „Weil die Dinge in diesem Land so weit aus dem Ruder gelaufen sind, brauchen wir einen Führer, der bereit ist, manche Regeln zu brechen, wenn das nötig ist“ ablehnen.

Umringt von politisch Gleichgesinnten

Nur in einer Frage teilen Amerikas Konservative und Liberale eine Lebenserfahrung: Bloß 41 Prozent der Demokraten und 43 Prozent der Republikaner haben angegeben, einen engen Freund oder zumindest einen Angehörigen zu haben, der die jeweils andere Partei unterstützt. Die meisten Amerikaner kennen also nur Menschen, die politisch so denken wie sie selbst. Dieser Prozess der weltanschaulichen Abscheidung hat mit den sozialen Umwälzungen der Sechzigerjahre begonnen und ist seit mehr als einem Jahrzehnt auch im politischen System vollendet. Die Politikwissenschaftler Keith Poole und Howard Rosenthal analysieren seit Jahrzehnten das Abstimmungsverhalten im US-Kongress, woraus sie diese Einsicht gewonnen haben: Seit den Kongresswahlen des Jahres 2004 hat es zwischen Demokraten und Republikanern sowohl im Senat als auch im Abgeordnetenhaus keine ideologischen Überschneidungen mehr gegeben. Der konservativste Demokrat war noch immer liberaler als der liberalste Republikaner.

Dieses Schisma ist, wie in allen westlichen Demokratien, auch geografisch zu erkennen. Ein Blick auf die Umfragewerte der beiden Präsidentschaftskandidaten zeigte Clintons Stärke an den dicht besiedelten, urbanen Küsten der USA und Trumps Anhängerschaft im spärlicher bewohnten Landesinneren.

Vermessung des Trumpismus

Eine Nation, zwei Lebenswelten: Diese Spaltung reicht nicht aus, um den erstaunlichen Reiz von Trumps autoritärem Chauvinismus auf viele Amerikaner zu erklären. Die USA waren bereits seit Jahren gespalten, ehe der Bauunternehmer am 16. Juni vorigen Jahres auf einer Rolltreppe in seinem Manhattaner Trump Tower herabschwebte und seine Kandidatur mit einer Tirade gegen die Mexikaner und dem Gelöbnis, eine Grenzmauer zu bauen, ankündigte. Wer sind die Trump-Wähler?

Jonathan T. Rothwell, der Chefökonom von Gallup, ist diesem Rätsel anhand einer umfassenden demoskopischen Untersuchung auf den Grund gegangen. Er konnte auf einen enormen Datenberg zurückgreifen: Von 8. Juli 2015 bis 31. August heurigen Jahres hatte Gallup insgesamt 112.995 Amerikaner in allen Ecken des Landes nach ihrer Meinung zu Trump befragt. Diese Ergebnisse verknüpfte Rothwell mit einem Dutzend Statistiken über die jeweiligen Wohnbezirke der Befragten: von der Bevölkerungsdichte über die Sterberate, Verschuldungsgrad, Rassentrennung, Einkommensquellen, Immobilienpreise bis zu Bildungsniveaus und Invaliditätsraten.

Im September brachte Rothwell die Resultate unter dem Titel „Explaining Nationalist Political Views: The Case of Donald Trump“ heraus, und er entkräftete einige wohlgepflegte Allgemeinplätze über Trumps Anhänger. Sie sind zwar, wie erwartet, weniger gut ausgebildet und arbeiten mehrheitlich in körperlich anstrengenden Berufen. Doch sie verdienen kaufkraftbereinigt mehr als andere Weiße, die Trump nicht unterstützen. Sie leben überwiegend in Gegenden, wo es kaum Nichtweiße gibt und in denen Unternehmen und Arbeitnehmer weniger stark dem Welthandel ausgesetzt sind. Rothwell bringt die Paradoxie, dass Trumps ausländerfeindliche Rhetorik dort am besten ankommt, wo es kaum Ausländer gibt, mit einer pfiffigen Berechnung auf den Punkt: Je größer die Entfernung zur mexikanischen Grenze, desto stärker Trumps Reiz.

Älter und weißer als der Rest Amerikas

„Diese Analyse liefert klare Belege dafür, dass jene, die Trump gut finden, disproportional häufig in ethnisch und kulturell isolierten Bezirken und Pendlergegenden leben, ohne viel Kontakt zu Schwarzen, Hispaniern und Asiaten“, resümiert Rothwell. „In Regionen zu leben, die stärker von staatlichen Pensionszahlungen abhängig sind, oder wo Hypotheken im Vergleich zu den Einkommen besonders hoch sind, ist ein Indiz für die Unterstützung Trumps.“

Seine Anhänger sind älter und weißer als der Rest Amerikas. Und man kann zwei Gruppen unterscheiden. Einerseits gibt es jene, die in Gegenden mit niedrigerem Bildungsniveau, mehr manueller Arbeit und höheren Sterblichkeitsraten für Weiße im mittleren Lebensalter leben. Andererseits finden sich viele Trump-Anhänger in Bezirken mit höherem gemittelten Haushaltseinkommen. Doch eines eint diese beiden Gruppen: Verlustangst und körperliche Leiden. „Kategorien des sozialen Status, vor allem Gesundheit und Aufstiegschancen zwischen den Generationen, sagen eine positive Haltung gegenüber Trump vorher“, hält Rothwell fest.

Sogar Trump-Fans, die mehr als 200.000 Dollar pro Jahr verdienen, haben übermäßige Angst um ihre Finanzen. „Extrem wohlhabende Trump-Anhänger geben fast dasselbe Niveau finanzieller Unsicherheit an wie Amerikaner aus der unteren Mittelschicht, die Trump nicht mögen“, schreibt Rothwell. Selbst offenkundig wohlhabende Wähler nehmen extreme politische Haltungen ein, wenn ihr Gesundheitszustand und das Vorankommen ihrer Kinder nicht ihre Erwartungen erfüllen. Trumps Fans finden sich anhand der Gallup-Daten überdurchschnittlich oft in den Bezirken mit den höchsten Invaliditätsraten.

Verbitterte Arbeiterschicht

Der Zusammenhang zwischen Statusverlust, körperlichem Leiden und politischer Radikalität wird durch eine neue Studie des Arbeitsökonomen Alan Krueger von der Princeton University weiter erhellt. In dem Papier „Where Have All the Workers Gone?“ hält der Chefwirtschaftsberater von Präsident Barack Obama der Jahre 2011 bis 2013 fest, dass fast jeder zweite arbeitslose Mann eine ernste gesundheitliche Beeinträchtigung hat, die ihn vom Arbeiten abhält. Wiederum fast die Hälfte dieser Männer nimmt täglich Schmerzmittel, in zwei Dritteln der Fälle sogar verschreibungspflichtige. Das ist die Wurzel der Opiat-Epidemie, die seit Jahren in diesen Milieus grassiert. Milieus, in denen Trump starken Zuspruch hat.

„Das ist Teil dessen, weshalb weiße Amerikaner aus der Arbeiterschicht so verbittert sind“, sagte Robert P. Jones, Leiter des PRRI, am Dienstag in Washington bei der Vorstellung der American Values Survey. „Ihnen wird oft gesagt, dass sie eine privilegierte Gruppe sind. Aber das Leben, das sie leben, spiegelt das oft nicht wider.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2016)

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