Clintons böse Oktoberüberraschung

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Der FBI-Direktor entfacht den E-Mail-Skandal neu. Das Ringen um das Weiße Haus dürfte dies kaum beeinflussen - wohl aber die Senatswahl.

Ein Szenario wie aus der Serie „House of Cards“ beschert Hillary Clinton eine jener Oktoberüberraschungen, die schon in der Endphase früherer Wahlkämpfe für Aufregung in beiden Lagern sorgte. Anthony Weiner, ein früherer Abgeordneter zum Kongress, der schon 2013 sein Amt verlor und die Aussicht, New Yorker Bürgermeister zu werden, wegen Sexnachrichten an Studentinnen vergeigt hat, steht seit dem Sommer im Visier neuer FBI-Ermittlungen. Er hatte einem 15-jährigen Mädchen Halbnacktfotos und anzügliche Nachrichten geschickt, und weil sie in North Carolina lebt, liegt der Verdacht einer die Grenzen der Teilstaaten überschreitenden Straftat vor, die in die Zuständigkeit des FBI fällt.

Vor etwa einem Monat beschlagnahmten FBI-Beamte Weiners Laptop, iPhone und iPad. Diese Woche entdeckten sie bei deren Untersuchung unter den Zehntausenden privaten E-Mails zwischen Weiner und seiner mittlerweile von ihm getrennt lebenden Ehefrau, Huma Abedin, rund 1000 Nachrichten, die möglicherweise für die Ermittlungen in der Frage relevant sind, ob Clintons Verwendung eines privaten Servers zur Verwaltung ihrer dienstlichen Korrespondenz als Außenministerin zwischen 2009 und 2013 Staatsgeheimnisse gefährdet hat.

Zur Veröffentlichung verplichtet. FBI-Chef James Comey hatte bei einer Pressekonferenz am 5. Juli erklärt, dass Clinton zwar „außerordentlich verantwortungslos“ gehandelt habe, aus Sicht des FBI aber nichts Strafwürdiges gegen Clinton vorliege und er von einer Anklage gegen sie abrate. Doch damit waren seine Ermittlungen nicht beendet. Die meisten der neuen Mails dürften an Abedin, Clintons engste Konfidentin, gerichtet und möglicherweise bereits früher vom FBI untersucht worden sein. Comey stand vor zwei Alternativen: Hätte er das neue Ermittlungsergebnis bis nach der Wahl verschwiegen, wären er und die Institution der Bundespolizei von rechter Seite noch stärker attackiert worden als bisher. Also informiert er den Kongress– und wird nun von links attackiert.

Er soll die Untersuchungen publik gemacht haben, obwohl seine Chefin, Justizministerin Loretta Lynch, dagegen war, berichtete CNN. Lnych fand es nicht angebracht, weniger als zwei Wochen vor der Präsidentenwahl über Prozeduren mit möglichen Auswirkungen auf einen Kandidaten zu informieren. Die Ministerin habe Comey ans Herz gelegt, der langjährigen Praxis zu folgen, Schritte zu vermeiden, die den Ausgang der Wahl beeinflussen könnten. Comey, der dem Justizministerium unterstellt ist, habe sich aber zur Veröffentlichung verpflichtet gefühlt.

Wie sich diese Episode auf die Wahl auswirkt, ist nicht seriös zu prognostizieren. Die Daten über Wählerregistrierung und frühzeitig abgegebene Stimmen aus mehreren Schlüsselstaaten legen jedenfalls die Vermutung nahe, dass Clinton weiterhin klar bessere Aussichten hat, am 20. Jänner vor dem Kapitol angelobt zu werden. Dave Wasserman vom Cook Political Report, einer Gruppe von Politikanalysten, verweist auf die am Freitag beendete Wählerregistrierung in Florida, dem wichtigsten Staat. Allein im Bezirk Miami-Dade registrierten sich seit 2012 75.847 neue hispanische Wähler. Das ist mehr als der Vorsprung von 74.309 Stimmen in ganz Florida, den Präsident Barack Obama damals bei seinem Wahlsieg hatte. In Orange County werden heuer erstmals mehr Nichtweiße als Weiße wahlberechtigt sein. Die Wähler in Osceola County wiederum waren im Jahr 2004 zu 57 Prozent weiß und stimmten mehrheitlich für George W. Bush. Heute sind dort 45 Prozent der Wähler hispanisch und 39Prozent weiß. In Summe kamen in Florida 603.842 hispanische und 325.485 weiße Wähler seit 2012 dazu.

Blaues Auge. Auch aus Nevada gibt es für Clinton gute Nachrichten. Laut dem Politologen Michael McDonald, der diese Statistiken in Echtzeit dokumentiert, haben in den zwei größten Wahlbezirken bereits um zwei Prozentpunkte mehr registrierte Demokraten als Republikaner gewählt. Obama gewann in Nevada mit 6,7 Prozentpunkten Vorsprung. Um das Blatt zu wenden, müssten die Republikaner jetzt schon wesentlich näher an den Demokraten sein, gibt er zu bedenken.

Clinton dürfte also mit einem blauen Auge davonkommen. Anders sieht die Sache im Bemühen der Demokraten aus, die Senatsmehrheit zu erobern. Die neue E-Mail-Posse gibt republikanischen Kandidaten ein starkes Argument, dass Präsidentin Clinton scharfe Kontrolle benötigen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2016)

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