Der Erde Kern

(c) CLAUS LUNAU / Science Photo
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Was im Innersten unseres Planeten ist, kann man nicht erkunden. Aber simulieren kann man es, in Labor-Astrophysik. Die klärt auch anderes.

Was ist ganz im Herzen unseres Planeten? Das weiß kein Mensch, nicht einmal die Helden von Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ drangen dorthin. Man kann es nur vermuten, von den sozialen Vorlieben der chemischen Elemente her und von seismischen Messungen, die Hinweise auf die Zusammensetzung auch der tiefsten Tiefen geben. Aus Ersteren kann man schließen, dass im Kern – er ist zweigeteilt, innen fest, außen flüssig und macht mit 6942 Kilometern Durchmesser ein Fünftel des Volumens der Erde aus, aber ein Drittel ihrer Masse – vor allem Eisen steckt (und etwas Nickel): Als ganz zu Beginn, vor 4,5 Milliarden Jahren, die Erde ein durch und durch geschmolzener Magmaozean war, wanderte das schwere Eisen ins Zentrum, die leichteren Silikate blieben oben, aus ihnen bildete sich der Mantel – 2850 Kilometer mächtig –, ganz außen sitzt die dünne Kruste, kaum 35 Kilometer stark.

Das Eisen zog also hinab, aber nicht allein, ihm folgten Siderophile. Die haben ihren Namen von einem Großen der Mineralogie, Victor Mordechai Goldschmidt, er gruppierte in den 1920er-Jahren alle chemischen Elemente um die herum, mit denen sie sich gern zusammentun, so ergaben sich fünf Freundeskreise. Einer wird von Lithophilen gebildet, Gesteinsliebenden, sie blieben an der Erdoberfläche, sanken nicht hinab. Das taten hingegen die Eisenliebenden – Siderophilen –, Gold und Platin gehören dazu, Ruthenium und Palladium auch.

Sie gingen mit in den Kern, und das bringt das erste Problem: Außen gibt es sie schon auch, nicht üppig – um die 1,3 Gramm Gold kommen in der Erdkruste im Schnitt auf tausend Tonnen anderes Material –, aber doch. Woher? Sie sind mit dem „late heavy bombardement“ gekommen bzw. mit der „late veneer“, der späten Tünche: Als die Erde abgekühlt war und sich außen verfestigt hatte, geriet sie vor 4,1 bis 3,8 Milliarden Jahren in einen Hagel von Kometen. Die brachten all das neu, was zu Beginn verschwunden war, sei es hinab in den Kern wie die siderophilen Elemente, sei es hinauf ins All wie leicht flüchtige, Wasser auch.

So weit, so schlüssig. Es passt nur nicht, das hat sich schon beim Wasser gezeigt: In dem der Kometen ist doppelt so viel schweres Wasser – D2O, es hat das Wasserstoffisotop Deuterium in sich – wie in dem der Erde (s. „Presse am Sonntag“, 7. 12. 2014). Und bei den Siderophilen passt es auch nicht, etwa beim Ruthenium: Das müsste oben auf der Erde die gleichen Isotopenmuster haben wie auf Kometen, aber es hat sie nicht, Mario Fischer-Gödde (Uni Münster) hat es durchgemessen (Science News 6. 6. 2016).

Ähnliche Probleme gibt es mit anderen Siderophilen, und Gold etwa findet sich auch viel tiefer in der Erde, als eine oberflächliche Tünche es hätte auftragen können. Zudem sind gerade heftige Zweifel daran laut geworden, dass es das „late heavy bombardement“ überhaupt gegeben hat. Man schließt sein Geschehen vor allem aus Mondgestein der Apollo-Missionen, aber dessen Zusammensetzung lässt sich laut Patrick Boehnke (UC Los Angeles) auch ganz anders erklären (Pnas 131, S. 10802). Woher die Siderophilen außen kommen, bleibt ein Rätsel.


Den Erdkern simulieren. Und welche nicht Siderophilen dem Eisen in die Tiefe gefolgt sind, ist auch eines. Nur aus schweren Elementen kann der innere Kern nicht bestehen: Man vermutet, dass sein Eisen eine Kristallstruktur hat – hexagonal close packed (hpc) – , die es auf der Erdoberfläche nicht gibt. Aber im Labor hat Tatsuya Sakamaki (Sendai) sie hergestellt – und beschallt (Science Advances e15000802): Im Vergleich der seismischen Muster zeigt sich, dass der echte Erdkern etwas weniger dicht ist als hpc-Eisen, er muss leichte Elemente enthalten, man weiß nur nicht welche, es können verschiedenste sein, Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff, Schwefel und andere. Wie soll man es klären, man kann ja nicht nachschauen im Kern?! Aber man kann ihn ein Stück weit simulieren, seine Bedingungen nachstellen, den Druck vor allem.

In solcher Labor-Astrophysik wird immer mehr möglich, etwa beim Lonsdaleit: Das ist ein Mineral aus Kohlenstoff, noch härter als Diamant, es entsteht bei extremem Druck aus Graphit. Das nahm man zumindest an, als man es 1967 zum ersten Mal auf der Erde entdeckte, in Fragmenten eines Asteroiden in einem Einschlagskrater, seitdem galt Lonsdaleit als Zeiger für Einschläge. Aber Lonsdaleit blieb umstritten, es gab Zweifel, ob es diese Form von Kohlenstoff überhaupt gibt: In Wahrheit sei es besonders gefalteter Diamant, argumentierte Péter Néhmet (Nature Communications 5:5447).

Deshalb machte Dominik Kraus (Berkeley) die Probe aufs Exempel, er simulierte im Labor einen Einschlag, heizte mit einem Laserpuls die Oberfläche von Graphit so stark auf, dass die ausgelöste Schockwelle für Nanosekunden einen Druck von 200 Gigapascal brachte, das ist zwei Millionen Mal so viel wie der Luftdruck auf Seehöhe: Das reichte für Lonsdaleit (Nature Communications 7:10970).

Den Einschlag eines Himmelskörpers kann man also simulieren, und beim Erdkern geht es auch, zumindest annäherungsweise: Es gibt länger schon den Verdacht, dass auch vom Druck abhängt, mit welchen der leichteren Elemente – bzw. ihren Isotopen – sich Eisen zusammentut. Stimmt das, müsste sich die Bevorzugung zeigen, in Isotopenfraktionierung. Geprüft hat das Anat Shahar (Washington), indem sie in einer Presszelle aus Diamant Eisen (und Eisenverbindungen) und Wasserstoff bzw. Kohlenstoff einem Druck von 40 Gigapascal aussetzte, das ist das, was man auf längere Dauer kann, es nähert sich den 60 GPa, die man im frühen Erdkern vermutet.

Die Isotopenfraktionierung zeigte sich, bei beiden, Wasserstoff und Kohlenstoff. Aber im Erdkern kann sie nicht geschehen sein, denn sonst müsste sie sich auch im Erdmantel zeigen, dort müssten die Isotopen angereichert sein, die nicht in den Kern gingen. Sie sind es nicht: Wasserstoff und Kohlenstoff scheiden als Bestandteile des Erdkerns aus (Science 352, S. 580). Bleiben als Kandidaten für Leichtes in der Tiefe etwa Sauerstoff, Silizium und Schwefel, die will Shahar als Nächste testen. ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2016)

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