Schutz oder Verhätschelung? Amerikas Kuschel-Unis

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Seitdem sich an Universitäten eine Kultur des Beschützens vor unbehaglichen Ideen verbreitet, stehen "Trigger Warnings" in heftiger Diskussion.

Die Studenten hatten an alles gedacht: Plüschtiere, Kekse, Malbücher und sogar Knetmasse waren bereitgestellt. Nicht etwa für ein Kindergartenprojekt, sondern für einen „Safe Space“ – einen Raum in der altehrwürdigen Brown University im US-Bundesstaat Rhode Island, in dem alles Böse ausgesperrt werden soll. Zu diesem Zweck wurde beruhigende Musik gespielt, Videos von Hundewelpen wurden gezeigt und Decken aufgelegt, in denen man vorm Unheil der Welt Zuflucht finden sollte.

Anlass dafür war eine Diskussionsveranstaltung auf dem Campus der US-Elitehochschule, bei der die Problematik von sexuellen Übergriffen an Universitäten thematisiert werden sollte. Das rief die Sexual Assault Task Force auf den Plan, eine Studentengruppe, die sich dem Kampf gegen Vergewaltigung und Sexismus verschrieben hat. Sie richtete den „Safe Space“ ein, um ein Refugium für Studenten zu bieten, die Opfer von sexuellen Übergriffen wurden oder sich generell von diesem Thema verstört fühlen.

Hypersensivität der Studenten

Mehrere Dutzend Studenten haben sich dann tatsächlich in den Safe Space begeben, während die Veranstaltung über die Bühne ging. Sie wollten sich nicht Meinungen aussetzen, die gegen ihre Überzeugungen gingen, ließen sie Journalisten später wissen. Das Extrembeispiel an Verhätschelung macht die Runde durch die großen US-Medien, in der „New York Times“ wurde die „Hypersensitivität“ der aktuellen Studentengeneration kritisiert. Das war im September 2015, seitdem brennt eine Debatte darüber, wie die Kultur der überzogenen Political Correctness die heranwachsenden Akademiker verweichliche und in ihnen falsche Vorstellungen von der außeruniversitären Welt entstehen ließe.

Kritiker verweisen dabei nicht nur auf die „Safe Spaces“, die schon länger an den Universitäten bestehen und ursprünglich eine geschützte Umgebung für die Queer-Community bieten sollten – in Zeiten, als es mit der Toleranz gegenüber Homosexualität noch nicht weit her war. Ähnliche Schutzbestrebungen stehen hinter den „Trigger Warnings“: Damit werden Warnungen vor verstörenden Inhalten bezeichnet, die bei Opfern von sexueller oder physischer Gewalt Erinnerungen an ihre Traumata und damit verbundene Angstreaktionen auslösen sollen. Studenten forderten ihre Professoren auf, sie vorzuwarnen, falls in den Vorlesungen Themen angeschnitten werden sollten, die bei Einzelnen posttraumatische Belastungen bedingen könnten.

Verletzt durch „Antigone“

Waren zunächst vor allem Opfer von Vergewaltigungen damit gemeint, weitete sich die Forderung nach „Trigger Warnings“ schnell auf andere Bereiche aus. Das ging bis hin zu der Tabuisierung politisch unangenehmer Aussagen – auch wenn es sich dabei lediglich um Zitate handelte, anhand derer Vortragende auf unterschiedliche Meinungspositionen hinweisen wollten. Sogar Theaterstücke und literarische Werke geraten immer wieder ins Visier der studentischen Aktivisten: Ein Student des Oberlin College in Ohio fühlte sich von den Vorgängen im antiken Drama „Antigone“ verletzt. Nach fast 2500 Jahren brauchte Sophokles plötzlich ein „Trigger Warning“ vorm ersten Akt.

Überspitzungen wie diese blieben nicht unkommentiert. Der britische Schauspieler und Autor Stephen Fry ließ sich aufgrund der Debatte dazu hinreißen, auf Twitter seinem Unverständnis Ausdruck zu verleihen: Opfer von Kindesmisshandlung und Vergewaltigung sollten nicht in Selbstmitleid verfallen, indem sie durch die Forderung nach „Trigger Warnings“ andere Menschen alarmieren. Wer sich von verstörenden Texten oder Bildern bedrängt fühle, solle doch bitte schön erwachsen werden, legte er in einem Interview nach. Der Shitstorm ließ nicht lang auf sich warten.

Auf akademischer Ebene wurde die Diskussion dennoch fortgesetzt, wenngleich auf einem anderen Niveau: Richard J. McNally, ein Harvard-Professor für Psychologie, stellt fest, dass nicht alle Menschen, die ein traumatisierendes Erlebnis haben, zwangsläufig eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD auf Englisch) entwickeln müssen. Seiner Meinung nach wären „Trigger Warnings“ sogar schädlich – wer sich von allen negativen Reizen abschotte, verstärke die Belastungsstörung noch zusätzlich. Opfer müssten sich vielmehr ihren Ängsten stellen, um mit dem Erlebten fertigzuwerden. Gegen diese Ansicht wurden im Netz viele Stimmen laut. Sie führten Gegenargumente zuhauf an: So wäre der Anteil der Vergewaltigungsopfer unter den US-amerikanischen PTSD-Kranken ungleich höher als die der Vietnam-Kriegsveteranen. 31 Prozent der Männer und 27 Prozent der Frauen, die im Vietnam-Krieg gekämpft haben, seien vom Posttraumatischen Stresssyndrom betroffen. Bei Opfern von Vergewaltigung sind es 65 Prozent der Männer und 46 Prozent der Frauen, heißt es in Studien der US-Regierung und der Florida State University.

Amerikas Rechte lässt sich von solchen Zahlen kaum beeindrucken. Die ultrakonservative Nachrichtenwebsite Breitbart News – übrigens äußerst engagiert in der Unterstützung des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump – führt die Speerspitze all jener, die sich über das Konzept der „Trigger Warnings“ lustig machen. Karikaturen von Babys in Hörsälen machen die Runde, der Kampf gegen die Political Correctness, mit dem auch Trump auf Stimmenfang geht, sorgt im rechten Spektrum des amerikanischen Medienmarkts für gute Quote.

Doch auch einzelne Universitäten scheinen genug zu haben von der übergreifenden Betroffenheitskultur. Ende August veröffentlichte die University of Chicago einen Brief an ihre heurigen Studienanfänger. Das von der Universitätsleitung verfasste Dokument warnt die „Freshmen“ davor, sich Hoffnungen auf die bereits in Mittelschulen verbreitete Behandlung mit Samthandschuhen zu machen. Begründet wird das mit einem Verweis auf die Freiheit der Lehre: Kontroverse Ideen und Meinungen müssten weiterhin in einem akademischen Umfeld diskutiert werden dürfen. Gleichzeitig hält die Universität fest, sich nicht in ihre Einladungspolitik hinsichtlich Gastredner hineinpfuschen zu lassen, wie es in der Vergangenheit oft der Fall war.

Die Uni reagiert damit auf den wachsenden Unmut innerhalb der Lehrenden: Die liberale Vereinigung gegen Zensur (National Coalition Against Censorship, NCAC) hat 800 Universitätsvortragende zu ihrer Meinung über „Trigger Warnings“ befragt. 62 Prozent der Studienteilnehmer gaben sich besorgt darüber, dass diese die akademische Freiheit aushöhlen würden. Nur 17 Prozent der Befragten sind der Meinung, solche Warnungen vor unbehaglichen Inhalten würden einen positiven Effekt auf die Bildung haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2016)

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