Die Tücken des kommenden Erbrechts

Den Rollstuhl zu führen dürfte ab einer gewissen Dauer bereits ein Pflegevermächtnis rechtfertigen.
Den Rollstuhl zu führen dürfte ab einer gewissen Dauer bereits ein Pflegevermächtnis rechtfertigen.(c) FABRY Clemens
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Reform. 2017 werfen neue Regeln über das Erben etliche Fragen auf, warnt Experte Christian Rabl. Lebensgefährten werden oft enttäuscht sein, Pflegeleistungen werden manchen Nachlass aufzehren, die Anrechnung von Geschenken wird zunehmen.

Wien. Die Reform des Erbrechts bringt am 1. Jänner einige Neuerungen, die für Überraschungen sorgen werden. Denn manches, was wie eine deutliche Verbesserung erscheint – etwa das völlig neue Erbrecht des Lebensgefährten –, erweist sich bei genauerem Hinsehen als weitgehend leeres Versprechen; umgekehrt kann beispielsweise die Abgeltung für pflegende Angehörige bei weniger vermögenden Verstorbenen unversehens die komplette Verlassenschaft aufzehren. Deshalb die wichtigsten Neuerung und ihre Konsequenzen im Überblick.

1) Das bloß unterschriebene Testament soll fälschungssicherer werden, doch Fragen bleiben.

Während das handschriftlich verfasste und vom Erblasser – er heißt im neuen Recht Verstorbener, was manche der nun folgenden Formulierungen unfreiwillig komisch erscheinen lässt – unterschriebene Testament unverändert bleibt, gelten für das „fremdhändige“ neue, strengere Regeln: Ein ausgedrucktes Testament ist nur dann gültig, wenn es vom Verstorbenen in Anwesenheit von drei Zeugen unterschrieben worden ist und er zusätzlich eigenhändig bestätigt, dass die Urkunde seinen letzten Willen enthält. Aus der Urkunde muss die „Identität der Zeugen“ hervorgehen. „Aber was bedeutet diese Formalerfordernis im Detail?“, fragt Christian Rabl, Anwalt und Professor für Zivilrecht an der Uni Wien. Erweitert wird auch der Kreis der untauglichen Zeugen, unter anderem auf „Machthaber“ des Begünstigten. Wer aller darunter zu verstehen ist, erscheint Rabl unklar. Sein Rat: Weil die Gefahr von Formfehlern groß ist, sollte ein Notar oder Anwalt beigezogen werden.

2) Lebensgefährten haben erstmals ein gesetzliches Erbrecht. Es wirkt aber eher selten.

Lebensgefährten, die nicht testamentarisch bedacht wurden, hatten bisher weder ein Erbrecht noch einen Pflichtteil (s. Pkt. 4). An ihrer Stelle erbten Verwandte oder, so es nicht einmal Nachkommen der Großeltern gibt, der Staat. Das neue Erbrecht ändert daran bei genauerer Betrachtung nicht viel. Pflichtteilberechtigt ist der Lebensgefährte nach wie vor nicht. Eingeführt wird ein „außerordentliches Erbrecht“, wenn ein Testament fehlt und der Lebensgefährte mindestens drei Jahre mit dem Verstorbenen zusammengelebt hat. Dieses gesetzliche Erbrecht gilt aber nur dann, wenn kein Verwandter erbberechtigt ist. Das könnten Urgroßeltern sein, die in der Regel jedoch nicht mehr am Leben sein werden; realistischer ist, dass die Großeltern oder irgendwelche von deren Nachkommen noch leben, die unter Umständen erst später mithilfe von Genealogen gefunden werden. Sie verdrängen den Lebensgefährten. „In den meisten Fällen findet sich wer“, vermutet Rabl, „nicht selten auch erst später durch professionelle Genealogen. Lebensgefährten brauchen deshalb dringend ein Testament.“ Auch das neue Vorausvermächtnis für Lebensgefährten, wonach diese in der gemeinsamen Wohnung bleiben dürfen, ist auf ein Jahr befristet. „Das ist im Ergebnis nicht mehr als eine verlängerte Kündigungsfrist“, so Rabl. „Die Lebensgefährten sind gemessen an den Reformmöglichkeiten die großen Verlierer.“ Bloß im Mietrecht haben sie nach wie vor ein Eintrittsrecht, das sie in die Position des Verstorbenen versetzt.

3) Wer den Verstorbenen gepflegt hat, wird entschädigt – und nicht zu knapp.

Angehörige, die den Verstorbenen in den letzten drei Jahren seines Lebens mindestens sechs Monate lang ohne Entgeltvereinbarung gepflegt haben, haben Anspruch auf eine Abgeltung. Das können auch mehrere Personen nebeneinander sein. Voraussetzung dieses Pflegevermächtnisses ist, dass die Pflegeleistungen nicht bloß geringfügig waren. Es reichen aber schon 20 Stunden pro Monat, also eine pro Wochentag. „Und Pflege bedeutet nicht unbedingt, Hand anzulegen“, sagt Rabl. „Es reicht, den Verstorbenen zu Lebzeiten im Rollstuhl spazieren zu führen.“ Der Anspruch könne also recht bald entstehen, und er könnte einigermaßen kräftig zu Buche schlagen: Rabl nimmt an, dass die Abgeltung mit circa zehn Euro pro Stunde zu kalkulieren sein wird. Das kann einen kleinen Nachlass komplett verbrauchen: Angenommen, der Angehörige hätte drei Jahre lang 50 Stunden monatlich gepflegt, dann müsste die Abgeltung 18.000 Euro ausmachen. Dabei geht das Pflegevermächtnis allem anderen vor, auch den Ansprüchen der Pflichtteilsberechtigten. Aber Achtung: Der Kreis der potenziell anspruchsberechtigten Pflegenden ist begrenzt: auf die gesetzlichen Erben (das sind der Ehepartner und die Verwandten), deren Ehepartner, eingetragene Partner, Lebensgefährten und deren Kinder sowie auf Lebensgefährten der Verstorbenen und ihre Kinder. Eine Schwiegermutter, die sich in der Pflege engagiert hat, gehe hingegen leer aus, warnt Rabl.

4) Das Pflichtteilsrecht wird am stärksten umgestaltet, mit zum Teil ungewissen Auswirkungen.

Das Pflichtteilsrecht gibt bestimmten Angehörigen einen Anspruch auf einen Teil des Nachlasses, auch wenn sie testamentarisch nicht bedacht worden sind. Vermacht also eine Verstorbene alles ihrem Mann, ohne auch die Kinder zu bedenken, so haben diese einen Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte dessen, was ihnen bei gesetzlicher Erbfolge zugestanden wäre, also wenn die Mutter kein Testament gemacht hätte. Ein Beispiel: Hinterlässt die Mutter ihren Mann und drei Kinder, stünde laut Gesetz dem Mann ein Drittel zu, den Kindern je zwei Neuntel. Setzt die Frau den Mann zum Alleinerben ein, haben die Kinder als Pflichtteilsberechtigte einen Pflichtteilsanspruch in Höhe eines Neuntels. Neu ist, dass Vorfahren des Verstorbenen keinen Pflichtteilsanspruch mehr haben (bisher: ein Drittel der gesetzlichen Erbportion). Und, von Experten schon jahrzehntelang gefordert: Die Pflichtteilsansprüche werden künftig nicht mehr sofort fällig, sondern können bis zu fünf Jahre lang, in besonderen Fällen sogar bis zehn Jahre gestundet werden. Damit will man verhindern, dass ein Familienunternehmen nur zu dem Zweck zerschlagen werden muss, dass der zum Nachfolger bestimmte Erbe die anderen auszahlen kann. Allerdings: Für die Stundung werden vier Prozent Zinsen jährlich fällig, also mehr, als mancher Kredit heute kostet.

Hinzu kommt: Die Prämisse für den Stundungsbedarf wurde in ihr Gegenteil verkehrt. Nach bisherigem Recht muss der Pflichtteilsberechtigte jede testamentarische Zuwendung pflichtteilsdeckend annehmen, kann aber jegliche Bedingung oder Belastung als pflichtteilsbeeinträchtigend bekämpfen. Die neue Regelung kehrt dies um: Der Pflichtteilsberechtigte kann keine vom Verstorbenen angeordnete Bedingung oder Belastung bekämpfen. Diese wird nur bei der Bewertung der Zuwendung berücksichtigt. Ein Fruchtgenussrecht wäre demnach nun zu akzeptieren. Wie sich dies zur bloß befristeten Möglichkeit der Stundung verhält, ist nach Rabl völlig unklar. Auch an zahlreichen anderen Stellen liefern die neuen Regeln seiner Einschätzung nach eine Fülle an Unsicherheiten, die erst durch das Höchstgericht beseitigt werden könnten.

5) Vorangegangene Schenkungen werden künftig öfter angerechnet, mit ungeahnten Folgen.

Damit Pflichtteilsberechtigte in ihren Rechten nicht geschmälert werden, sind schon bisher vorangegangene Schenkungen zulasten des Erben so zu behandeln, als wären sie noch Teil des Nachlasses. Das vergrößert die Summe, aus der sich der Pflichtteil errechnet. Nicht alle Schenkungen werden freilich berücksichtigt. Das neue Pflichtteilsrecht bleibt grundsätzlich bei der Differenzierung zwischen Schenkungen an nicht Pflichtteilsberechtigte und solche an pflichtteilsberechtigte Personen. Erstgenannte unterliegen einer Zweijahresfrist, Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte sind hingegen unbefristet anzurechnen. Neu geregelt wurde nun, wann ein Beschenkter als pflichtteilsberechtigte Person gilt. Nach Rabl ist auch diese Regelung höchst unklar. Klar sei zumindest, dass es anders als bisher nicht darauf ankommt, ob ein beschenkter Angehöriger im Zeitpunkt des Todesfalls aktuell als Pflichtteilsberechtigter zum Zug gekommen wäre oder nicht. Das ist etwa bei einem Enkelkind nicht der Fall, dessen Vater noch am Leben ist.

Nach neuem Recht komme es nur darauf an, dass der Beschenkte ein Abkömmling ist. Damit wird ein Weg versperrt, der bisher gern genutzt wurde, um Pflichtteilsansprüche zu umgehen: Der Erblasser schenkte sein Grundstück nicht dem Lieblingssohn, sondern einem von dessen Kindern. Dieses war bisher nur zwei Jahre ab der Schenkung einer Pflichtteilsanrechnung ausgesetzt, sofern es am Todestag des Erblassers nicht selbst pflichtteilsberechtigt war (eben weil sein Vater am Leben war). Jetzt gilt: Alle Kinder und Kindeskinder lösen als potenziell Pflichtteilsberechtigte die unbefristete Schenkungsanrechnung aus. „Das gilt auch rückwirkend“, warnt Rabl. Der erwähnten Strategie ist damit der Boden entzogen. Auch wegen anderer Details erwartet Rabl, „dass die Bedeutung der Schenkungsanrechnung dem Umfang nach explodieren wird“. Etwa wegen des Pflichtteilsrechts des Ehegatten. Bisher konnten Ehepartner eine Pflichtteilserhöhung nur wegen Schenkungen verlangen, die der andere in aufrechter Ehe getätigt hatte. Das gilt nur noch bei Schenkungen an Nichtpflichtteilsberechtigte; alle Geschenke, die Nachkommen vor der Ehe bekommen haben, sind auf Wunsch anzurechnen und vom Pflichtteil des Beschenkten abzuziehen. Rabl: „Das ist ebenfalls eine enorme Ausdehnung, gleichzeitig aber für Ehegatten eine neue Möglichkeit, im Einvernehmen den Pflichtteil der Kinder zu schmälern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2016)

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