Ein Weißer unter Schwarzen

Menschen mit Albinismus können in Afrika inzwischen froh sein, wenn sei nicht ermordet werden.

Benedict Kinyua hat eigentlich keine Zeit. Seiner Frau soll am nächsten Tag ein Gehirntumor entfernt werden. Seine Gedanken sind ganz woanders. Aber nun ist die Besucherin schon da, da kann man auch reden. „Was können wir sonst machen?“ – Die Dinge nehmen, wie sie sind. Eine Situation akzeptieren, beharrlich sein. Letztlich hat Benedict Kinyua mit dieser Einstellung überlebt. Und dank einer Mutter, die ihren Sohn akzeptierte, wie er war: ein Weißer unter Schwarzen.

Als Benedict Kinyua vor 66Jahren geboren wurde, kannten die Leute in seinem Dorf Weißhäutige nur als britische Kolonialisten, als Diktatoren. „,Mzungu‘ oder Weißer war ein Schimpfwort, das ich dauernd hörte. Ich hatte ständig Probleme in der Schule, weil ich schlecht sah. Aber meine Mutter sagte: ,Konzentriere dich auf dein Leben. Halte durch. Dass du weiß bist, ist Gottes Wille‘“, erinnert er sich. Er wurde in eine Blindenschule gesteckt, obwohl er nicht blind war, und hielt mit 41Jahren seine erste Flasche Sonnencreme in Händen. Für beides muss er sich glücklich schätzen. Beides bleibt Menschen mit Albinismus oft verwehrt. Menschen wie Benedict Kinyua.

Hohes Hautkrebsrisiko. Wie viele Personen mit Albinismus es in Kenia gibt, hat nie jemand gezählt, sagt Mumbi Ngugi von der Albinismus-Stiftung Ostafrika. Menschen mit der vererbbaren Pigmentstörung leiden in Afrika besonders. Gesundheitlich, da sie meist ungeschützt intensiver Sonnenstrahlung ausgesetzt sind, was das Hautkrebsrisiko drastisch erhöht. Sonnencremes und Sonnenbrillen sind entweder unbekannt, nicht zugänglich oder unerschwinglich. Zudem sehen viele schlecht und verlieren dadurch den Anschluss in der Schule. Für Brillen haben die meisten Eltern kein Geld oder kein Verständnis. Gesellschaftlich sind Menschen mit Albinismus Vorurteilen und Diskriminierungen ausgesetzt. Dazu zählt in Ostafrika inzwischen Mord.

Glücksbringer. Mumbi Ngugi von der Albinismus-Stiftung hat Gerüchte von zwei Morden gehört, „doch selbst wenn die stimmten, sind wir in Kenia noch längst nicht auf dem Niveau von Tansania.“ In dem Nachbarland verloren in den vergangenen Monaten mindestens 40Albinos auf barbarische Weise ihr Leben: Bei lebendigem Leib wurden ihnen Körperteile abgehackt, denen Wunderheiler magische Qualitäten nachsagen. Eine davon soll sein, den Besitzer reich zu machen. Fischer erhoffen sich einen besonders guten Fang, wenn sie Haare von Albinos in die Netze flechten. Goldgräber streuen für eine reichere Ausbeute Pulver aus Albinoknochen in ihre Gruben.

Der Lehrer Michael Mwendwa fürchtet zwar weniger um sein Leben, aber auch er ist für manche der „Teufel“, das „Schwein“ oder immer wieder der Mzungu. 30 Jahre jünger als Benedict Kinyua, zeigen seine Erfahrungen, dass die Bevölkerung heute kaum mehr über Albinismus weiß als früher. An der Universität, einziger Albino unter 6000Schwarzen, wollte aus Angst vor Alpträumen keiner ein Zimmer mit ihm teilen. Das Blatt wendete sich für ihn erst, als die kenianische Regierung gezielt Lehrer mit Behinderungen anstellte. Heute leitet der Vater einer Tochter eine Volksschule in Nairobi und will einen Unternehmensfonds für Menschen mit Albinismus gründen.

„Auch wenn du anders bist, kannst du es trotzdem im Leben zu etwas bringen“, diesen Grundsatz brachten ihm katholische Schwestern in der Schule bei. Benedict Kinyua brachte es zur eigenen Werkstatt für Lederwaren. Beide haben es bewiesen. Armut und Unwissenheit garantieren jedoch weiter, dass sie Ausnahmen bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2009)

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