Was vom New Deal übrig blieb

MINISTERRAT - DEBRIEFING: KERN / MITTERLEHNER
MINISTERRAT - DEBRIEFING: KERN / MITTERLEHNER(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Die Reform der Gewerbeordnung wurde ein Reförmchen. Auch andere Punkte der geplanten Wachstumsoffensive fehlen noch. Am schnellsten einigte sich die Regierung auf neue Förderungen.

Wien. Angekündigte Revolutionen finden bekanntlich selten statt. Angekündigten Reformen geht es nicht besser. Am Mittwoch präsentierte die Regierung die Novelle der Gewerbeordnung. Mit dieser hätte das rund 160 Jahre alte Gesetz entbürokratisiert und ins 21. Jahrhundert gehoben werden sollen. Die Gewerbeordnung regelt, welche Voraussetzungen Unternehmer brauchen, um gewisse Gewerbe auszuüben. Ökonomen sprachen sich für eine Entrümpelung aus. Doch der Widerstand von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern war am Ende stärker. Übrig blieb ein Reförmchen, das heikle Punkte ausklammert und kaum mehr wirtschaftliche Dynamik in Österreich bringen dürfte.

Dabei hatte Kanzler Christian Kern (SPÖ) bei seinem Amtsantritt versprochen, die Wirtschaft mit einem New Deal anzukurbeln. Bislang gab es – mit Ausnahme der Bankenabgabe – nur dann eine Einigung mit dem Koalitionspartner, wenn mittels Steuermillionen neue Förderungen ausgeschüttet werden sollen. Bei allen Themen, die für Widerstand bei der Klientel von SPÖ oder ÖVP sorgen, wurden die Entscheidungen in die Zukunft verschoben. Zudem drückte der SPÖ-Plan für die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe auf die Stimmung zwischen den Regierungsparteien. „Die Presse“ bringt einen Überblick über die erledigten und offenen Punkte.

Gewerbeordnung

Wer beruflich gern Räder reparieren, Nägel modellieren oder Ikea-Möbel zusammenbauen will, kann sich freuen. Anders als bisher, muss dafür keine Befähigung mehr nachgewiesen werden. Diese drei Teilgewerbe werden, mit 16 weiteren, durch die Novelle der Gewerbeordnung liberalisiert. Vom angekündigten großen Wurf bleibt die Regierung aber weit entfernt. Alle 80 reglementierten Gewerbe bleiben, zwei kommen hinzu. Das letzte Wort dürfte hier allerdings erst in der Begutachtungsfrist gesprochen werden: 16reglementierte Gewerbe könnten gestrichen werden, so die SPÖ. Der Plan, künftig mit einem Gewerbeschein alle 459 freien Gewerbe ausüben zu können, ist hingegen gescheitert. Stattdessen werden die sogenannten Nebenrechte erweitert. So darf ein Tischler nun etwa bis zu 15 (statt bisher sieben) Prozent seines Umsatzes auch mit Arbeiten wie Fliesenlegen verdienen. Im freien Gewerbe (etwa bei Grafikern oder Webdesignern) sind es 30 Prozent. Die Anmeldung eines Gewerbes wird zudem günstiger. Der Bund verzichtet auf seine Abgaben, jene für die Kammer bleiben. Die Novelle verspricht auch schnellere Verfahren: Genehmigungen sollen leichter erteilt werden oder ganz entfallen – etwa für Pop-up-Stores.

Start-ups und KMU

Start-ups sowie Klein- und Mittelbetriebe sind bisher die Gewinner des New Deal. Für Erstere wurden bereits im Sommer 185 Millionen an zusätzlichen Fördermitteln beschlossen. Damit sollen etwa Lohnnebenkosten bei innovativen Start-ups übernommen werden. Für KMU werden laut Wirtschaftspaket 175Mio. Euro bereitgestellt. Dadurch sollen vor allem Investitionen von Firmen mit weniger als 250 Mitarbeitern gefördert werden.

Industrie

Die Industrie ging bei den bisherigen Förderpaketen noch leer aus, was diese auch laut bekrittelte. Dem soll allerdings kommende Woche mit dem Forschungspaket Rechnung getragen werden. Darin enthalten: eine Forschungsprämie, von der vor allem forschende Großunternehmen profitieren dürften.

Bankenabgabe

Die Reform der – im Verhältnis zu Deutschland zehnmal so hohen – Bankenabgabe steht auf der Habenseite der Regierung. Sie wurde von rund 600 auf 100 Millionen Euro pro Jahr reduziert. Dafür müssen die Institute jedoch eine einmalige Abschlagszahlung in Höhe von etwa einer Milliarde Euro zahlen.

Kalte Progression

Die Abschaffung der kalten Progression wird sowohl von SPÖ als auch von ÖVP als Ziel angesehen. Allerdings ist man sich bei der Umsetzung nicht einig. Die ÖVP will einen Automatismus, die SPÖ aber, dass weiterhin die Politik entscheidet, wie genau entlastet wird. Daher gibt es noch keine Einigung. Laut Regierung ist das jedoch kein Problem, da die Wirkung der Steuerreform bis 2019 anhält.

Arbeitszeiten

Auch das Thema Flexibilisierung der Arbeitszeiten bleibt ungelöst. Die ÖVP wünscht eine Anhebung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden. Die SPÖ will im Gegenzug leichteren Zugang zur sechsten Urlaubswoche. Ein Kompromiss ist derzeit nicht in Sicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2016)

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