Rund ein Dutzend „Cumhuriyet“-Redakteure ist in Haft. Der Vorstoß gegen die Zeitung hat Symbolwirkung.
Wien/Ankara. Quer durch die Türkei gleichen einander die Demonstrationen: Pensionisten, Studenten, Gewerkschafter, Journalisten oder Anrainer kamen am Mittwoch zusammen, um gemeinsam öffentlich die „Cumhuriyet“ zu lesen. „Wir geben nicht auf“, lautet das Motto der landesweiten Protestwelle gegen die Verhaftung von einem Dutzend „Cumhuriyet“-Journalisten. Oppositionspolitiker, insbesondere der kemalistischen CHP, aber auch der deutsche Botschafter Martin Erdmann reichten sich bei ihren Besuchen in den Redaktionsräumen die Klinke in die Hand. „An diesem Arbeitsplatz hat man Mut“, heißt es auf dem Transparent der Journalistengewerkschaft, das nun an der Fassade des Istanbuler „Cumhuriyet“-Büros hängt.
Freilich, die „Cumhuriyet“ ist nicht das einzige Medium, das in der derzeitigen repressiven Atmosphäre um sein Überleben kämpfen muss: Zeitungen, die dem als Staatsfeind erklärten islamischen Prediger Fethullah Gülen nahestehen, kurdische sowie linksliberale Publikationen stehen längst am Abgrund. Der Angriff auf „Cumhuriyet“ hat allerdings eine tiefer gehende Symbolwirkung, ist die Zeitung doch in der Ära des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk gegründet worden und hat sich stets als Flaggschiff der kemalistisch-laizistischen Prinzipien gesehen – in der Vergangenheit mit nationalistischem, später mit sozialdemokratischem Einschlag.
Als etabliertes Medium und als eine der ältesten Tageszeitungen im Land war die AKP-kritische „Cumhuriyet“ immer ein besonderes Ärgernis für die regierende Partei. Das Blatt ist nicht zuletzt die letzte große regierungskritische Publikation. „Cumhuriyet“ druckte beispielsweise eine Karikatur des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ ab, nachdem dieses Ziel eines Terroranschlags geworden war. Wegen Gotteslästerung – die Zeichnung zeigt einen trauernden Propheten Mohammed – sind anschließend zwei „Cumhuriyet“-Redakteure verurteilt worden.
Der frühere Chefredakteur Can Dündar hat Ankara mit seinen Enthüllungen über angebliche Waffenlieferungen der Regierung an islamistische Regellen in Syrien in Erklärungsnot gebracht. Dündar ist (nicht rechtskräftig) zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, er befindet sich derzeit im Exil in Deutschland. Sein Nachfolger, Murat Sabuncu, ist nun einer von 13 Journalisten, gegen die am Montag Haftbefehl erlassen worden ist. Aktivisten zufolge haben die Redakteure noch immer nicht mit ihren Anwälten sprechen dürfen. Erschienen ist die Zeitung nach der Verhaftungswelle trotzdem. „Wir geben nicht auf“, heißt es auf der ersten Seite, etliche Stellen im Blatt sind aus Protest – und auch mangels Redakteuren – leer geblieben.
Die Ermittler werfen der Zeitung vor, Propaganda für die Zwecke der kurdischen PKK und der Bewegung Gülens gemacht zu haben. Als Beispiel wird etwa ein Interview angeführt, das die Zeitung mit dem PKK-Chef Cemil Bayık veröffentlicht hat. Zudem habe sich die Stiftung, die die Zeitung trägt, nach der jüngsten Hauptversammlung nicht ordentlich registriert und sei somit illegal. Auch soll Geld von einem Gülen-nahen Konzern an die Stiftung geflossen sein. Auffällig sei zudem, so ein weiterer Vorwurf, dass „Cumhuriyet“ wenige Tage vor dem (gescheiterten) Coup im Juli „putschfreundliche“ Texte veröffentlicht habe. Für die blutige Putschnacht macht Ankara den Prediger Gülen verantwortlich.
Merkel reagiert auf Kritik
„Cumhuriyet“ ist eine der wenigen Publikationen in der Türkei, die nicht von einem Großkonzern verschluckt wurden. Finanzielle Schwierigkeiten hatte das Blatt seit geraumer Zeit, wie die Mitarbeiter im Juli bei einem Treffen in Istanbul mit der „Presse“ schilderten: Offizielle Anzeigen würden kaum geschaltet, auch Konzerne überlegten sich zweimal, ob sie bei der „Cumhuriyet“ werben.
International hagelt es zwar Solidaritätsbekundungen und Preise (z. B. den Alternativen Nobelpreis) für die Zeitung, Can Dündar aber kritisierte die „schwache“ Reaktion der Bundesregierung zu den jüngsten Verhaftungen. „Besorgt sein hilft uns türkischen Journalisten nicht“, so der ehemalige Chefredakteur und Kolumnist. Am Mittwoch schließlich verschärfte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Kritik: Ankaras Vorgehen in Bezug auf Pressefreiheit sei höchst alarmierend, Berlin werde die Fälle genau verfolgen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2016)