„Bald gibt es sowieso keine Welt mehr“

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Themenbild(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Wie sehen Jugendliche ausländischer Herkunft und ihre Väter die Welt – und Österreich? Die Erziehung in Migrantenfamilien ist autoritärer, die Jugendlichen seien integrationswillig, ihr Blick auf die Welt ist aber düster.

Wien. Wer sind die jungen Männer mit, wie man das so sagt, „Migrationshintergrund“? Sie träumen vom Jihad, wenn sie sich nicht als Banden herumtreiben und Frauen belästigen – möchte man meinen, wenn man manche Berichte liest. „Männliche Jugendliche sind oft Thema, es geht um Radikalisierung, fehlendes Bekenntnis zur Demokratie“, sagt Ulrich Kropiunigg. Er ist Professor für Medizinische Psychologie und hat nun mit Frauen ohne Grenzen eine (vom Sozialministerium unterstützte) Studie erarbeitet: „Väter und Söhne – zwischen zwei Welten“ zeichnet ein positiveres Bild, als manche Studien der Vergangenheit. Diese sieht Kropiunigg kritisch: jene von Ednan Aslan (Islamkindergärten) oder Kenan Güngör (seine Studie kam zum Ergebnis, dass eine Mehrheit der in Wiens Jugendzentren betreuten Jugendlichen gefährdet sei, sich zu radikalisieren) etwa. Man lasse Befragte oft nicht genug erklären, was sie meinen – die Interpretation von außen sorge dann für Schlagzeilen.

Für diese Studie wurden nun also rund 100 Tiefeninterviews geführt. Die Kernergebnisse: Die Jugendlichen seien in hohem Maße integrationsbereit, auch zum Thema Spracherwerb seien sie positiv eingestellt. Für die Familien sei das oft schwierig. Je mehr die Kinder in die Aufnahmegesellschaft hineinwachsen, umso mehr entfernen sie sich von den Wurzeln der Väter. Auch das sei eine Erklärung dafür, warum Sprachkurse teilweise zögerlich angenommen werden.

Fragen, die für junge Österreicher kein Thema sind – auch Identitätsfragen schauen bei Jugendlichen je nach Herkunft anders aus: Migranten müssten immer wieder erklären, warum sie hier seien, auch würden sie aus Medien erfahren, wer und wie sie seien. Das führe zu Unsicherheit. Haseeb Adalatyar, 17, geboren in Afghanistan und seit 16 Jahren in Wien, erzählt: „Ich werde oft gefragt: ,Du bist Afghane, hast du keinen Kontakt zu Terrororganisationen?‘ Oder, in Debatten, zum Beispiel zu den Anschlägen in Frankreich, werde ich in der Schule als Erster gefragt. Ich begegne dem nach außen mit Humor, aber dann kippt die Stimmung, und ich liege in der Nacht wach und frage mich: Was kann ich dafür?“

„Richtiger Mann“

Unterschiedlich gestaltet sich auch die Erziehung: Österreichische Väter schauen heute vor allem darauf, dass sie selbstbestimmte Söhne aufziehen, die ein glückliches Leben führen. Bei Migranten sei der Aufstiegsgedanke noch wichtiger: Väter, die sich selbst beruflich deklassiert gefühlt haben, fordern von ihren Söhnen Aufstieg ein. Auch seien Väter mit Migrationshintergrund autoritärer und dominanter, sie bezögen sich in Erziehungspraktiken stärker auf Religion und Praktiken aus ihrem Herkunftsland.

Ein modernes Genderbewusstsein fehlt, das Rollenbild ist traditionell. Kurz gesagt: Burschen sollen „richtige Männer“ werden, Töchter können sich bilden, aber die Hausfrauenrolle bleibt ihnen.

Ein Subtext der Gespräche, so die Autoren, sei, dass sich Väter und Söhne mit Migrationshintergrund oft in der Defensive fühlen, sie müssten sich rechtfertigen und erklären, etwa zum Thema radikaler Islam: Da hätten sich die Befragten durchgehend ablehnend zum sogenannten Islamischen Staat geäußert, allerdings sprachen viele Jugendliche mit Migrationshintergrund von diversen Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit der Weltpolitik. Nicht zu unterschätzen sei auch die Zugkraft der Scharia – die Idee, unter islamischen Gesetzen zu leben, würden Jugendliche zum Teil attraktiv finden.

Besonders erschreckend, so Edit Schlaffer von Frauen ohne Grenzen: Jugendliche würden durchwegs ein düsteres Weltbild zeichnen: „Bald gibt es keine Welt mehr“, habe ein Syrer gesagt, andere hätten von kommenden Kriegen oder weltweiten Diktaturen gesprochen. „Da fehlt der Blick für Zusammenhänge.“ Nicht nur da herrsche großer Handlungsbedarf. (cim)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2016)

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