VW geht in EU auf Konfrontationskurs

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Um Klagen vorzubeugen, behauptet der Konzern nun, er habe gar nicht manipuliert – und widerspricht damit Behörden und früheren Aussagen. Aktionär Niedersachsen distanziert sich.

Wien/Wolfsburg. In den USA gibt sich Volkswagen ganz demütig. „Rund um die Uhr“ arbeitete man daran, die berechtigten Ansprüche der Kunden zu befriedigen, sagte die Anwältin des deutschen Autobauers jüngst vor Gericht. Und dass der Konzern nun über 16 Mrd. Dollar an Schadenersatz zahlen darf, empfindet Konzernchef Matthias Müller als Meilenstein bei der „Aufarbeitung des Problems, das wir verursacht haben“.

Jenseits des Atlantiks klingt das ganz anders. Schon bisher hat VW in Europa jeden Anspruch, der über den Rückruf mit Update der Software hinausgeht, rigoros abgewiesen. Jetzt überraschen die Wolfsburger mit einer kühnen Volte in der Argumentation: Die eingebaute Software sei gar „keine unzulässige Abschalteinrichtung nach europäischem Recht“, weil sie die die Wirksamkeit der Abgasreinigungsanlage nicht reduziert habe. „Von einer Manipulation lässt sich deshalb nicht sprechen“. Dass man die Umrüstung dennoch anbiete, geschehe im „besonderen Interesse der Kunden“ – sprich: aus reiner Kulanz. So heißt es in einer schriftlichen Antwort auf eine Anfrage mehrerer Medien.

Offenbar will VW mit dieser neuen Strategie weiteren Klagen in Europa vorbeugen. Welche juristische Spitzfindigkeit dahintersteht, ist noch nicht ganz klar. Möglicherweise greift die Software nicht bei der nachgeschalteten Reinigungsanlage ein, sondern direkt bei der Steuerung der Verbrennung im Motor – weshalb sie vom Wortlaut der EU-Gesetze nicht erfasst wäre.

Jedenfalls distanzierte sich das Land Niedersachsen als Großaktionär umgehend von der Argumentation: Unbestreitbar habe die Software dazu geführt, dass die Stickoxidwerte auf dem Prüfstand besser waren als auf der Straße – und dieses manipulative Vorgehen sei nicht entschuldbar. Das richtete Ministerpräsident Stephan Weil dem Konzern aus, den er als Aufsichtsrat kontrolliert. VW geht mit dem neuen Kurs auf Konfrontation zu Behörden und Regierung. Das Kraftfahrzeugbundesamt hat die 2,4 Mio. in Deutschland betroffenen Fahrzeuge zurückrufen lassen, um sie in einen „gesetzeskonformen Zustand“ zu versetzen.

US-Lösung zeichnet sich ab

Die Firma dürfte sich auch in Widersprüche verwickeln. Laut Bericht der Untersuchungskommission des Verkehrsministeriums vom April hat VW dort noch ausdrücklich „unzulässige Abschalteinrichtungen“ eingeräumt. Und auch wenn das Wort Manipulation schon länger tunlichst vermieden wird (die Rede ist von der „Dieselthematik“), ist es auf dem Höhepunkt des Skandals auch in Wolfsburg sehr wohl gefallen: Als der Aufsichtsrat den Rücktritt von Konzernchef Martin Winterkorn verkündete, berichtete er auch, dass man die „Manipulation“ von Abgaswerten im Gremium eingehend beraten habe.In den USA zeichnet sich indes ein baldiger Kompromiss beim Schadenersatz ab. Der Vergleich mit Behörden, Händlern und dem Gros der Kunden ist bereits in trockenen Tüchern: 16,5 Mrd. Dollar muss VW auf dieser Basis zahlen. Auf den einzelnen Käufer entfallen Beträge zwischen 5000 und 10.000 Dollar. Auch die Lösung für die 85.000 Fahrzeuge mit Drei-Liter-Motor dürfte kurz bevorstehen. Offen ist dann noch die Geldbuße des Justizministeriums. In Summe hat VW bisher 18,2 Mrd. Dollar für Dieselgate rückgestellt.

Freilich: Diese stolze Summe fällt für nur rund 550.000 Autos an. Weltweit sind aber elf Millionen Fahrzeuge betroffen. Müsste Volkswagen auch für sie ähnliche Beträge zahlen, wäre der Autobauer pleite. Das US-Recht unterscheidet sich vom europäischen: Der dort übliche Strafschadenersatz kann weit über den tatsächlichen Schaden hinausgehen. Er soll abschrecken – und gleicht damit aus, dass der Staat sich weit weniger als in Europa vorbeugend in die Herstellung der Produkte einmischt. Dennoch lässt die rigorose Verweigerungshaltung europäische VW-Kunden immer lauter murren – und könnte dem Image des Unternehmens weiter schaden. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2016)

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