Beim Parfumeur auf der Couch

 In Kumars Laden in der Kirchengasse Nr. 24, den er gewöhnlich nur nach Vereinbarung öffnet, reihen sich die Düfte der abgeschlossenen Aufträge aneinander.
In Kumars Laden in der Kirchengasse Nr. 24, den er gewöhnlich nur nach Vereinbarung öffnet, reihen sich die Düfte der abgeschlossenen Aufträge aneinander.(c) Clemens Fabry
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Yogesh Kumar hat das, was man wohl einen absoluten Geruchssinn nennt. Er kann das Zwischenmenschliche und das Unausgesprochene riechen – und nützt diese Gabe, um personalisierte Düfte für seine Kundschaft zu entwickeln.

Als Siebenjähriger wusste Yogesh Kumar, das er Parfumeur werden will. Kumar, der in der indischen Metropole Neu Delhi geboren wurde, wusste zwar nicht, woher er das Wort kannte oder ob es diesen Beruf gibt. Nur dass er mit Düften arbeiten wollte, war ihm klar. „Wenn ich studiert hätte, wäre ich Chemiker geworden. Was ist nicht Chemie?“, fragt der heute 47-Jährige. Doch dazu kam es nicht. Noch bevor er die Schule abschließen konnte, musste er in den väterlichen Betrieb für Friseurbedarf eintreten. Unglücklich sei er dort gewesen. Aber im streng hierarchischen Kastensystem Indiens hebt einen ein absoluter Geruchssinn nicht zwangsläufig hervor.

Diese unausweichlich vorgezeichnete Rolle wollte Yogesh Kumar nicht hinnehmen. „Ich bin nicht, woher ich komme, sondern wohin ich will“, sagt der Mann mit den klaren ruhigen Augen. Mit 17 entwarf er neben der Arbeit bei seinem Vater seine ersten personalisierten Düfte für Luxushotels. Mit Anfang 20 zog er nach Europa, um sich auf dem alten Kontinent einen Namen als Parfumeur zu machen. Anfangs in Dänemark, doch das nordische Publikum entpuppte sich trotz aller anfänglichen Begeisterung für seine Duftkreationen nicht als das kauffreudigste. Freunde rieten ihm zu Österreich. In Wien mit seinen Theatern, Museen, Galerien und Opern würden Künste wie die seine noch viel höher geschätzt. „Sie haben den richtigen Geruchssinn gehabt.“


Wieder ein Anfang.
1997 kam Kumar in Wien an. Aber es wurde 2003, bevor er sein eigenes kleines Geschäft in der Kirchengasse nahe dem Spittelberg eröffnen konnte. Hier residiert er nun – der einzige Parfumeur Österreichs und einer von rund 2000 weltweit, wie er selbst sagt. Anfangs dauerte es trotz aller Kulturaffinität der Wiener, trotz eines gültigen Gewerbescheins und seiner schnell erlernten Deutschkenntnisse, bis er die richtigen Leute traf, die seine Vision vom personalisierten Duft verstanden – und ihm auch die nötige Plattform bieten konnten. Der Erfolg kam mit einer Zufallsbekanntschaft auf einer Weihnachtsfeier. Dort traf er den Chef von Duft und Kultur in den noblen Tuchlauben, der ihn in den folgenden Jahren als Artist in Residence zweimal pro Woche seine Düfte kreieren ließ. „Das Geschäft und ich sind zusammen bekannt geworden.“

Bald wurden die Medien auf das außergewöhnliche Angebot aufmerksam. So konnte sich Kumar seine eigene Wirkstätte in Neubau leisten. Diese öffnet er seiner Kundschaft nur nach Voranmeldung – die Community, die in dieser stark auditiv und visuell geprägten Zeit seine Produkte nachfragt, sei aber auch sehr klein. „Was ich anbiete, ist kein Produkt von der Stange.“

Und vor allem seien seine Düfte niemals Camouflage für ihre Träger. „Düfte, die man verwendet, um sich zu verstecken, gibt es bei mir nicht.“ Genauso schwer wie der Körperduft müssten sie sein, um wie ein maßgeschneidertes Kleid anzuliegen und ihren Besitzer einmalig zu machen. Wer leistet sich diese doch recht kostspieligen Maßarbeit? „Menschen, die sich mit sich selbst auseinandersetzen, interessiert ihr Körperduft.“ Man könne ihn als Visitenkarte betrachten, die über Sympathie oder Antipathie entscheidet, bevor man noch das erste Wort wechselt. „Es gibt keine stärkere Beleidigung als zu sagen, dass ich jemanden nicht riechen kann.“


Der Geruch der Lüge.
Kumar konnte Menschen von frühester Kindheit an riechen – sowie auch zwischenmenschliche Situationen, Spannungen, ja sogar die Lüge. Alles Unausgesprochene, das über Gerüche transportiert wird. „Das finde ich hier“, sagt er und deutet auf den Nacken. Jeder Menschen habe zwei Seiten. Aber, fragt er schmunzelnd, wer schaue sich in der Früh schon seinen Rücken im Spiegel an?

Will man diese zweite Seite kennenlernen und seinem Körperduft ein entsprechendes Mäntelchen anpassen, sucht man bei Yogesh Kumar um eine Privataudienz an. Er, der seinen Geruchssinn bei einem traditionellen indischen Ayurvedamediziner schulen ließ, erstellt mittels des Geruchs am Nacken oder an einem getragenen Stück Stoff einen mehrseitigen Duftreport. „Bei Paaren verlässt an dieser Stelle meistens einer das Geschäft, um einen Kaffee zu trinken.“

Wenn man Kumar bei der Arbeit erlebt, versteht man, warum: Der Einblick ins weite Seelenland seiner Kunden, den er mit einem einzigen Riecher gewinnt, ist verblüffend. Man fühlt sich mehr auf der Freud'schen Couch als beim Parfumeur. „Man sieht nur mit der Nase gut“, sagt Kumar und lächelt sein unergründliches Lächeln.

Nach der Beratungs- und Analyserunde sucht er aus rund 230 Komponenten Basisnoten für vier Testkompositionen aus, die der Träger nacheinander ausprobieren soll. Anschließend werden je nach Wahl Herznote und Kopfnote angepasst. Am Ende bekommt der Kunde für knapp 600 Euro einen 100-Milliliter-Flakon seines höchstpersönlichen Dufts, eine olfaktorische Innenschau – und im besten Fall durch das Zusammenspiel von Körper und Parfum mehr Inspiration, Freude oder Ausgeglichenheit. Er könne keine Wunder wirken, betont Kumar. Aber er habe doch schon einige wunderbare Reaktionen erlebt, wenn die Matrix des Körpers durch sein Parfum ins Gleichgewicht gebracht wurde. Den einmal komponierten Duft notiert er in einem dicken Band. Vier dieser Bände hat er mittlerweile. So können Kunden immer wieder ein neues Fläschchen beziehen – außer ihr Geruch verändert sich. Was geschehen könne, niemand bleibe schließlich sein Leben lang derselbe Mensch, sagt Kumar. In dem Fall muss das Duftmäntelchen frisch adjustiert werden.

Sein Ursprungsgeschäft mit den Hoteldüften gibt es daneben nach wie vor – in Indien, wo es heute seine Schwester leitet, aber auch in Österreich. Hierzulande hat Yogesh Kumar für so unterschiedliche Unternehmen persönliche Noten kreiert wie für das Belvedere, die Bank Austria oder die Österreich Werbung. Er sei sehr experimentierfreudig und immer offen für neue Projekte – so habe er beispielsweise auch schon Essenzen mit dem Duft von Weinblättern, Trauben oder Tabakschokolade hergestellt. „Aber ich würde nicht sagen, dass ich alles erreicht habe“, betont er. Neben seinen Duftseminaren und Duftvorträgen würde er gern Projekte mit Kindern machen, um ihnen das olfaktorische Erlebnis näherzubringen, das heute viel zu sehr in den Hintergrund gerückt sei. Auch die Eröffnung eines Duftmuseums schwebt ihm vor Augen.


Selbst und ständig. „Ein Selbstständiger arbeitet selbst und ständig“, sagt Kumar, wenn man ihn angesichts der persönlich vereinbarten Öffnungszeiten nach seinem Arbeitstag fragt. Manchmal beschäftige er sich 24 Stunden am Tag mit Gerüchen. „Das ist für mich kein Beruf. Das ist mein Leben.“ In seiner Tätigkeit als Parfumeur habe er noch in keiner Sekunde das Gefühl gehabt, zu arbeiten. „Was ich wirklich furchtbar finde, ist Urlaub“, sagt Yogesh Kumar und lacht noch einmal sein unergründliches Lachen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2016)

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