Was die USA so tief spaltet

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Ob Clinton oder Trump: Der Sieger der Wahl am Dienstag wird ein schweres Amt antreten. Ein zerstrittenes Volk, das sich nicht einmal auf Fakten einigen kann, traut keinem zu, das Land zu einen.

Washington. Der erste Mann ohne jegliche politische Erfahrung oder die erste Frau: So oder so wird bei der US-Präsidentenwahl in der Nacht auf Mittwoch Geschichte geschrieben. Hillary Clinton hat angesichts ihres Vorsprungs in den meisten Umfragen und vor allem wegen des guten Abschneidens bei Frühwählern die wesentlich größeren Chancen als Donald Trump, das Weiße Haus zu ihrem nächsten Arbeitsplatz zu machen. Clintons Wahlkampfteam ist signifikant professioneller, ihre Partei geschlossen, während sich Trumps im offenen Richtungskampf wälzt. Und die Frauen und Hispanics machen vermutlich Verluste bei weißen Angehörigen der Arbeiterklasse in Schlüsselstaaten wie Nevada, North Carolina und vor allem Florida wett.

Doch der an Untergriffen ebenso reiche wie an inhaltlichen Debatten arme Wahlkampf hat ein verwüstetes Feld hinterlassen, auf dem der nächste Präsident ackern muss. Die kulturellen Konflikte, die Mitte der 1960er-Jahre zwischen Konservativen und Liberalen zu gären begannen, haben zwei einander spinnefeind seiende gesellschaftliche Blöcke geschaffen. 80 Prozent der Demokraten und 81 Prozent der Republikaner sagen laut Umfrage des Pew Research Centers, dass sie sich nicht einmal auf grundsätzliche Tatsachen einigen können. Das Public Religion Research Institute erhob, dass nur 41 Prozent der Demokraten und 43 Prozent der Republikaner jemanden in Familie oder Freundeskreis haben, der zur anderen Partei gehört. Weder Clinton noch Trump traut man zu, die Spannungen zu verringern. 17 Prozent der Bürger meinen, Trump könne das – gar nur neun Prozent erwarten das von Clinton. Diese Spaltung ist von drei Phänomenen gestützt, die sich vor der Wahl verhärtet haben:

1. Weiße Globalisierungsverlierer haben einen autoritären Fürsprecher gefunden.

Die Grenzmauer; das Versprechen, Industriejobs aus Übersee zurückzuholen; die Ankündigung, stillgelegte Kohlegruben wiederzueröffnen; das Einwanderungsverbot für Muslime: Damit hat Trump eine überwiegend weiße und männliche Anhängerschaft ohne höhere Ausbildung für sich gewonnen. Laut Umfragen liegt er bei diesen Arbeiterklassemännern zwischen 30 und 38 Prozentpunkten vor Clinton. Mit seinem autoritären Gehabe, das die Rückkehr der Folter für Terrorverdächtige und die Einschränkung der Meinungsfreiheit für seine Kritiker umfasst, verschreckt er aber eine republikanische Kerngruppe: weiße Collegeabsolventen. Hier liegt Clinton zwischen sechs und elf Prozentpunkten vorn. Zum Vergleich: Mitt Romney lag vor vier Jahren bei seiner Niederlage gegen Präsident Barack Obama in dieser Gruppe noch mit 14 Punkten voran.

2. Der Spalt zwischen ländlichen Konservativen und städtischen Kosmopoliten wächst.

Die Stadt-Land-Kluft, die in jeder westlichen Demokratie breiter wird, prägt auch in den USA die Politik. Trump ist auf dem Land populär, die Städte sind Clintons Hochburgen. Diese Spaltung ist eher ökonomisch als kulturell zu erklären. In seinem Bestseller „Hillbilly Elegy: A Memoir of a Family and a Culture in Crisis“ geht J. D. Vance, der in bitterer Armut aufgewachsen ist und sich über den Wehrdienst bei den Marines und das Studium in Yale aus dem Elend gezogen hat, mit seinen Landsleuten hart ins Gericht. „Wir reden über den Wert harter Arbeit, aber wir sagen uns selbst, dass der Grund dafür, dass wir nicht arbeiten, eine angebliche Unfairness ist.“ Vance, ein christlicher Konservativer und Trump-Gegner, beklagt „einen zerbrochenen Zusammenhang zwischen der Welt, die wir sehen, und den Werten, die wir predigen“. Obama, den Trumps Anhänger so innig hassen, „trifft unsere tiefsten Unsicherheiten“, bemerkt Vance. „Sein Lebenslauf ist so beeindruckend, dass er Angst macht. Er lebt jene Zuversicht vor, die aus dem Wissen herrührt, dass die moderne amerikanische Meritokratie wie für ihn geschaffen ist.“

3. Hass auf Eliten und Institutionen mobilisiert links und rechts gleichermaßen.

Die USA sind letztlich auch deshalb gespalten, weil in der Mitte das Vertrauen in die Institutionen sinkt. „Elite“ ist links wie rechts ein Schimpfwort, dem Kongress vertrauen laut Gallup-Umfrage vom Juni 2015 nur mehr acht Prozent, auch die Kirchen, Banken, das Höchstgericht und das Präsidentenamt genießen heute bei wesentlich weniger US-Bürgern als früher Vertrauen. Doch es wäre falsch, nur Trump-Anhänger für die Schwächung der Grundpfeiler der Gesellschaft verantwortlich zu machen. Auch von links wird die Grenze zur Demagogie und Anmaßung oft überschritten – wenn etwa die populistischen Senatoren Elizabeth Warren und Bernie Sanders schon vor der Wahl schwarze Listen mit Namen kursieren lassen, deren Nominierung in eine etwaige Clinton-Regierung sie mit allen Mitteln hintertreiben würden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2016)

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