Syrien: Offensive auf IS-Hauptstadt läuft

Syrian Democratic Forces (SDF) fighters walk with their weapons, north of Raqqa city
Syrian Democratic Forces (SDF) fighters walk with their weapons, north of Raqqa city(c) REUTERS (RODI SAID)
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Vom Westen unterstützte kurdisch-arabische Milizen setzten zum Schlag gegen die nordsyrische Stadt Raqqa, das „Herz“ der Jihadisten, an.

Raqqa/Mossul/Ankara. Drei Wochen nach Beginn des Großangriffs der irakischen Armee im Verband mit kurdischen, iranisch/schiitischen, turkmenischen und weiteren internationalen Kräften auf die seit 2014 vom sogenannten Islamischen Staat IS gehaltene nordirakische Großstadt Mossul hat am Sonntag auch die seit Langem erwartete Offensive auf das formale Machtzentrum des IS, die nordsyrische Wüstenstadt Raqqa, begonnen.

Offiziere der kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) gaben in Ain Issa, rund 50 Kilometer nördlich von Raqqa, bekannt, dass die „große Schlacht zur Befreiung Raqqas und seiner Umgebung“ begonnen habe. Man werde Schritt für Schritt vorgehen, sagte eine Kommandantin. Die Sicherheit von Zivilisten habe Vorrang. Vier Fünftel der teilnehmenden Soldaten seien einst als Zivilisten aus Raqqa geflohen.

Westliche Luftunterstützung

Unterstützt würde man von Spezialeinheiten und Flugzeugen der US-geführten Koalition sowie kurdischen Volksschutzeinheiten YPG, dem bewaffneten Arm der SDF. Die Kurdenmiliz beherrscht große Teile des syrischen Grenzraums zur Türkei. Die zahlenmäßige Stärke der Angreifer war vorerst unklar.

Raqqa ist ebenfalls seit 2014 in IS-Hand. US-Verteidigungsminister Ashton Carter hatte vor knapp zwei Wochen gesagt, die Rückeroberung starte bald. Bis Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011 war Raqqa wichtiger Umschlagplatz für agrarische Güter. Mehr als 200.000 Menschen lebten in der Stadt am Euphrat, auf deren weitgehend flachem Gebiet es seit etwa 6000 vor Christus Siedlungen gegeben hat. Abassiden-Kalif Harun al-Rashid (786–809) verlegte die Hauptstadt seines Reichs zeitweise von Bagdad nach Raqqa. Den größten Niedergang erlebte Raqqa, als die Mongolen das Zweistromland eroberten und die Stadt 1258 ebenso wie Bagdad zerstörten.

Der IS machte Raqqa zum Hauptsitz seiner Führung bzw. des „Kalifats“. Möglich war das, da die Miliz in der sunnitischen Bevölkerung Rückhalt fand. Syriens Sunniten fühlten sich von der mehrheitlich alawitischen Regierung in Damaskus benachteiligt. Viele sunnitische Flüchtlinge sollen vor 2014 nach Raqqa gezogen sein. In der Nähe ist ein Staudamm, der großflächige Bewässerung ermöglicht.

Der IS vertrieb gemäßigtere Aufständische aus der Stadt, seither gilt dort ein ultrabrutales Regiment, öffentliche Hinrichtungen, Vergewaltigungen und Steinigungen sind alltäglich, ebenso der Handel mit Sexsklavinnen. In Raqqa sollen sich auch viele IS-Kämpfer aus Europa und Zentralasien aufhalten. Weil die Stadt stark isoliert ist, ist es schwierig, die Lage dort genauer einzuschätzen.

US-Generalstabschef in Ankara

US-Generalstabschef Joseph Dunford flog am Sonntag nach Ankara zu Konsultationen mit Generalstabschef Huluşi Akar. Es dürfte dabei um die Raqqa-Offensive und ein Stillhalten der Türkei gehen. Grund: Die Kurdeneinheiten werden von der Türkei als Feind erachtet, Ankara will nicht, dass sie weitere Gebiete erobern. Die türkische Armee hatte erst im August in Syrien gegen die YPG gekämpft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2016)

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