Präsident Ortega ließ sich mit großer Mehrheit wiederwählen. Der Ex-Marxist hatte vorgesorgt – und die Opposition ausgeschaltet. Die Macht könnte jedoch bald seine umstrittene Stellvertreterin und Ehefrau Rosario Murillo übernehmen. Denn Ortega hat Gesundheitsprobleme.
Buenos Aires/Managua. Es kam, wie es kommen musste: Mit einem überwältigenden Sieg wurde Daniel Ortega im Präsidentenamt Nicaraguas bestätigt. Etwas mehr als 72 Prozent der Stimmen sollen auf den Führer der sandinistischen Befreiungsfront entfallen sein, die Konkurrenten spielten keine Rolle.
Auf diesen Triumph hatte Ortega systematisch hingearbeitet. Im Juni setzten willfährige Richter die wichtigste Oppositionspartei schachmatt und danach suspendierte das Parlament 28 Abgeordnete. Ortega kontrolliert sämtliche Medien. Der Ex-Marxist ist heute Amigo der Unternehmer und fromm dazu. Mit einem der rigidesten Abtreibungsverbote der Welt brach Ortega den Bann der konservativen katholischen Kirche des Landes. Nun scheint die Macht des Sandinisten zementiert. Doch könnte gerade dieser Erfolg den Anfang vom Ende der Glorie bedeuten.
Die Organisation Amerikanischer Staaten hat die Erosion der Demokratie dokumentiert. Und das US-Abgeordnetenhaus – auch beunruhigt über zunehmende russische Aktivitäten in Nicaragua – beschloss einen Nicaragua Investment Conditionality Act, der die Kreditvergabe an das mittelamerikanische Land einschränken könnte. Betroffen davon wären auch Finanzierungsprogramme der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank.
Sollte der US-Senat nach der heutigen Wahl in republikanischer Hand bleiben, dürfte der „Nica Act“ dort angenommen werden. Und Ortegas Hauptsponsor wankt. Seit 2007 bekam Ortega Rabatte im Wert von 3,5 Milliarden Dollar auf venezolanisches Erdöl.
Auch in den eigenen Reihen scheint es zu rumoren. Sowohl innerhalb des Frente Sandinista als auch beim Unternehmerverband wird – sotto voce – Ortegas Entschluss kritisiert, seine Ehefrau Rosario Murillo zur Vizepräsidentin zu machen. Seit Jahren werden dem Comandante Gesundheitsprobleme nachgesagt, er soll unter der Autoimmunkrankheit Lupus leiden, dazu kämen Herzprobleme. Daher scheint eine Amtsübernahme durch die 65-jährige Murillo durchaus im Bereich des Möglichen.
Vorliebe für indische Gurus
Obwohl bisher nur Sprecherin der Regierung, gilt Murillo längst als die mächtigste Figur in der Exekutive, die Kabinettssitzungen leitet, Minister kontrolliert und Bürgermeistern sowie Parteikadern Vorgaben liefert.
„Sie ist ein Workaholic, detailversessen, mit hohen Ansprüchen an ihre Untergebenen, die sie ständig erniedrigt“, sagt der Oppositionsfunktionär José Palais. Murillo, einst Kulturjournalistin und Poetin mit Vorliebe für indische Gurus, Hippie-Mode und viel Schmuck – an ihren Händen trägt sie mehr als 20 Ringe – hat unter den Sandinisten viele Gegner. Seit der Rückkehr ihres Mannes an die Macht hat sie systematisch die alten Kader entmachtet und durch junge Leute ersetzt, die auf Ortega-Linie gepolt sind.
Von der zehnköpfigen Dirección Nacional der frühen 1980er-Jahre ist heute nur noch ein Mitglied aufseiten Ortegas. Angeblich formiert sich Widerstand um den Revolutionshelden Humberto Ortega, nicht verwandt mit Daniel.
Zudem scheint es auch in der Wirtschaft böse Vorahnungen zu geben. „Die Unternehmer haben Angst vor ihr, denn sie gilt als wankelmütig. Das könnte Verhandlungen und Übereinkommen erschweren“, sagt der Politologe Oscár René Vargas.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2016)